Goettin in Gummistiefeln
durch die Lüftungsrohre krieche und unten wieder rausplumpse.
Oder ich könnte auch einfach den Lift nehmen.
Wir kommen in der Küche raus, die neben den Konferenzzimmern der Chefetage liegt. Wow - ich hatte ja keine Ahnung. Ich komme mir vor, als wäre ich zum ersten Mal hinter der Bühne. Köche wuseln vor Herden herum, dazwischen jede Menge Kellner und Kellnerinnen in auffallenden grün-weiß gestreiften Uniformen.
»Die Uniformen sind da drin.« Jan deutet auf einen riesigen Weidenkorb voll sauber zusammengefalteter Uniformen. »Sie müssen sich umziehen.«
»Okay.« Ich wühle ein wenig in dem Haufen herum, bis ich etwas in meiner Größe finde, dann verschwinde ich damit auf die Damentoilette. Ich frische meinen magentafarbenen Lippenstift auf und ziehe mir die Haare noch ein wenig mehr ins Gesicht. Dann ein Blick auf die Uhr.
Siebzehn Uhr vierzig. Die Party fängt um achtzehn Uhr an. Gegen zehn nach sollte sich der elfte Stock so ziemlich geleert haben. Arnold ist ein sehr beliebter Kollege, keiner wird sich seine Abschiedsrede entgehen lassen, wenn er es vermeiden kann. Außerdem werden auf Carter-Spink-Feiern die Reden immer schon am Anfang gehalten, damit die Leute abhauen können, falls die Arbeit ruft.
Und wenn dann alle mit Zuhören beschäftigt sind, schlüpfe ich in Arnolds Büro runter. Das könnte klappen. Es muss einfach klappen. Ich schaue in den Spiegel und eine eiserne Entschlossenheit überkommt mich. Ich werde nicht zulassen, dass er den Leuten weiterhin den harmlosen, freundlichen alten Teddybär vorspielt. Ich werde das nicht zulassen.
Um zehn vor sechs versammeln wir uns alle in der Küche, um unsere Anweisungen entgegenzunehmen. Warme Kanapees ... kalte Kanapees ... ich höre kaum hin. Ich habe schließlich nicht die Absicht, mitzumachen. Nachdem Jan mit ihren Instruktionen fertig ist, lasse ich mich von der Herde aus der Küche schwemmen. Man drückt mir ein Tablett mit Champagnergläsern in die Hand, das ich bei der nächsten Gelegenheit unauffällig loswerde. Dann eile ich in die Küche zurück, greife mir eine offene Champagnerflasche und ein sauberes Tuch, und sobald niemand hinschaut, verdrücke ich mich auf die Damentoilette.
Okay. Jetzt kommt der schwierige Teil. Ich schließe mich in einer Kabine ein und harre dort eine Viertelstunde lang in vollkommener Stille aus. Ich klappre weder mit der Flasche, noch niese ich oder kichere, als ich eine Frau dabei belausche, wie sie eine kleine Rede einübt, um mit einem Typen namens Mike Schluss zu machen. Es sind die längsten fünfzehn Minuten meines Lebens.
Schließlich entriegle ich vorsichtig die Tür und husche aus der Toilette, spähe vorsichtig um die Ecke. Ich kann den Gang und die Türen zum großen Veranstaltungsraum sehen. Dort hat sich bereits eine große Menschenmenge versammelt. Ich höre Gelächter und lautes Stimmengewirr. Kellner und Kellnerinnen wuseln dazwischen herum, und immer noch kommen jede Menge Leute den Gang entlang. Ich erkenne ein paar Mädchen aus der PR-Abteilung ... ein paar Trainees ... Oliver Swan, einen Seniorpartner ... alle sind auf dem Weg zur Feier, nehmen an der Tür ein Glas Champagner in Empfang.
Jetzt ist der Flur leer. Los geht‘s.
Mit zitternden Knien gehe ich direkt am Saaleingang vorbei zu den Aufzügen und der Tür zum Treppenhaus. Dreißig Sekunden später eile ich schon die Stufen hinunter. Niemand hier benutzt je die Treppe, aber man weiß ja nie.
Im elften Stock angekommen, spähe ich durch die Türscheibe. Keiner zu sehen. Aber das heißt nicht, dass auch keiner da ist. Da könnten noch jede Menge Leute sein, direkt außerhalb meines Gesichtsfelds.
Nun, es hilft nichts - das Risiko muss ich eingehen. Ich hole ein paar Mal tief Luft, um mich für das Kommende zu wappnen. In meiner grün-weiß gestreiften Uniform würde mich sowieso keiner erkennen. Und ich habe eine Story parat, falls ich doch erwischt werden sollte: Man hat mich runtergeschickt, um diese Flasche Champagner in Mr. Savilles Büro zu stellen. Als Überraschung.
Also los. Genug Zeit verschwendet.
Langsam drücke ich die Tür auf, trete auf den blauen Läufer hinaus und atme erleichtert auf. Niemand zu sehen. Alles leer. Das ganze Stockwerk ist so gut wie verlassen. Müssen alle rauf zur Party gegangen sein. Irgendwo telefoniert noch jemand, aber ich kann niemanden sehen, als ich mich, an den Schreibtischinseln vorbei, verstohlen auf den Weg zu Arnolds Büro mache. Alle meine Sinne sind in Alarmbereitschaft.
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