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Goettin in Gummistiefeln

Goettin in Gummistiefeln

Titel: Goettin in Gummistiefeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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nicht so laut und schmutzig. Als ich am Nachmittag im Bahnhof Paddington ankomme, kann ich die Menschenmassen kaum fassen, die wie Ameisen durch die Bahnhofshalle wuseln. Und der Gestank der Abgase. Der Müll. Das ist mir bisher noch nie aufgefallen. War ich so daran gewöhnt, dass ich es überhaupt nicht mehr wahrgenommen habe?
    Gleichzeitig jedoch habe ich kaum den Asphalt betreten, da spüre ich wieder diese Faszination, die die Stadt auf mich ausübt. Als ich zur Tube runtergehe, merke ich, dass sich mein Schritt unwillkürlich dem der anderen angepasst hat. Mit geübtem Griff stecke ich mein Ticket in den Schlitz und ziehe es gekonnt wieder heraus, ohne dabei auch nur eine Sekunde zu verlieren.
    Und jetzt sitze ich im Starbucks, gleich um die Ecke von Carter Spink, an einem Fensterplatz und schaue auf die Leute hinaus, die in Anzug oder Kostüm geschäftig an mir vorbeigehen, gestikulierend, das Handy am Ohr. Der Adrenalinrausch ist ansteckend. Mein Herz klopft jetzt schon schneller - dabei habe ich noch nicht mal das Gebäude betreten.
    Bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um. Jetzt weiß ich, warum Kriminelle sich zu Banden zusammenschließen, um ihre Dinger zu drehen. Im Moment könnte ich die Ocean‘s Eleven wirklich gut brauchen und wenn auch nur, um mir ein wenig moralische Unterstützung zu geben.
    Ich werfe schon wieder einen Blick auf meine Uhr. Es ist fast so weit. Bloß nicht zu früh auftauchen. Je weniger Zeit ich dort verbringe, desto besser.
    Als ich den Rest von meiner Latte macchiato austrinke, piepst mein Handy, aber ich achte nicht darauf. Wahrscheinlich wieder Trish. Sie war stinksauer, als ich ihr sagte, ich müsste mir ein paar Tage freinehmen. Sie hat sogar mit aller Macht versucht, mich davon abzuhalten. Also habe ich ihr erzählt, ich hätte Probleme mit dem Fuß und müsste das dringend von einem Spezialisten behandeln lassen.
    Was im Rückblick ein Riesenfehler war, denn sie wollte sofort jede gruselige Einzelheit wissen. Sie zwang mich sogar, den Schuh auszuziehen und ihr meinen Fuß zu zeigen. Schwitzend und nervös habe ich ihr dann zehn Minuten lang irgendeinen Bären aufgebunden, von wegen »Fehlwuchs« von Knochen, während sie die ganze Zeit meinen Fuß untersuchte und mit unüberhörbarem Misstrauen meinte: »Also, ich finde, er sieht vollkommen normal aus.«
    Den Rest des Tages hat sie mich dann mit ihren misstrauischen Blicken verfolgt. Schließlich stieß ich sogar auf eine aufgeschlagene Zeitschrift mit einem Artikel über ungewollte Schwangerschaften und wo man sich vertraulichen Rat holen könne. Also ehrlich. Dieses Gerücht werde ich gleich im Ansatz ersticken müssen, sobald ich dazu komme, denn sonst weiß es in Kürze das ganze Dorf und Iris fängt an, Babyschühchen zu häkeln.
    Ich werfe abermals einen Blick auf meine Uhr und merke, wie sich mir vor Nervosität der Hals zuschnürt. Zeit zu gehen. Ich verschwinde noch rasch in der Damentoilette und blicke prüfend in den Spiegel: neues Blondhaar, getönte Brille, magentafarbener Lippenstift - perfekt. Ich sehe vollkommen anders aus als früher.
    Bis auf das Gesicht, natürlich. Ich meine, wenn man ganz genau hinsieht.
    Aber genau das wird keiner tun. Zumindest baue ich darauf.
    »Hi«, sage ich mit tiefer, gutturaler Stimme. »Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
    Gott, jetzt höre ich mich an wie ein Transvestit. Auch egal. Hauptsache nicht wie eine Rechtsanwältin.
    Mit eingezogenem Kopf trete ich aus dem Starbucks auf die Straße hinaus, gehe den Gehsteig entlang, um eine Ecke und schon erblicke ich die unverwechselbaren Granitstufen und die Glastüren des Carter-Spink-Gebäudes. Mein Blick gleitet über die vertraute Fassade und etwas scheint sich in meiner Brust zusammenzuziehen. Irgendwie seltsam, wieder hier zu sein. Das letzte Mal, als ich diese Türen sah, habe ich sie in die andere Richtung aufgestoßen, nach draußen, in völliger Panik, davon überzeugt, ich hätte meine Karriere ruiniert, davon überzeugt, mein Leben wäre vorbei.
    Abermals kocht Zorn in mir hoch, und ich mache kurz die Augen zu, um mich in Zaum zu halten. Noch habe ich keine Beweise. Ich muss mich ganz auf meine Aufgabe konzentrieren. Jetzt komm schon. Du schaffst das.
    Ich überquere die Straße und gehe entschlossen die Stufen hinauf. Ich kann mich fast sehen, wie ich an jenem schicksalhaften Tag ausgesehen haben muss, bleich und unscheinbar. Wie ich unter Schock stand. Das scheint ein ganzes Leben zurückzuliegen. Ich sehe

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