Goettin in Gummistiefeln
Gang sieht fast genauso aus wie meiner - der gleiche Teppich, die gleiche Tapete, die gleichen Lampen. Nur die Nummern an den Türen sind andere. 31 oder 32. Ich weiß nicht mehr, welche. Am Ende lasse ich mich vor der 31 auf den Boden plumpsen, denn die Fußmatte ist weicher. Ich stelle meine Tasche ab, lehne mich mit dem Rücken an die Tür und warte.
Als Ketterman schließlich auftaucht, bin ich vollkommen erledigt. Ich sitze seit drei Stunden hier - ohne Essen, ohne Trinken. Mir ist ganz schwach. Bei seinem Anblick rapple ich mich rasch auf die Beine, aber ich muss mich an der Wand abstützen, weil mich ein plötzliches Schwindelgefühl überkommt.
Ketterman sieht im ersten Moment total geschockt aus. Doch dann setzt er sofort wieder seine undurchdringliche Miene auf.
»Samantha. Was machen Sie hier?«
Ich sehe ihn an und frage mich, ob er wohl von dem Fiasko auf der Feier gehört hat. Sicher. Jedes grässliche Detail. Nicht, dass man es ihm angesehen hätte.
»Was machen Sie hier?«, wiederholt er. Er hat einen riesigen Metallkoffer in der Hand, und sein Gesicht ist im trüben Licht der Flurbeleuchtung nicht gut zu erkennen.
Ich mache einen Schritt auf ihn zu. »Ich weiß, ich bin die Letzte, die Sie sehen möchten.« Ich reibe mir die hämmernde Stirn. »Glauben Sie mir, ich bin auch nur höchst ungern hier. Sie wären der letzte Mensch auf der Welt, den ich um Hilfe bitten würde ... tatsächlich sind Sie der letzte.«
Ich unterbreche mich kurz. Ketterman hat nicht mal mit der Wimper gezuckt.
»Die Tatsache, dass ich trotzdem hier vor Ihnen stehe ... sollte also Beweis genug für den Ernst der Lage sein.« Ich schaue ihn verzweifelt an. »Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen und Sie müssen mir zuhören. Sie müssen einfach.«
Eine lange Stille breitet sich aus. Von der Straße dringt das Quietschen von Bremsen herauf und raues Gelächter. Kettermans Gesicht ist immer noch wie versteinert. Unmöglich zu sagen, was in ihm vorgeht. Dann holt er schließlich seinen Schlüssel aus der Tasche, geht an mir vorbei zur Nummer 32 und schließt auf. Dann dreht er sich zu mir um. »Kommen Sie rein.«
22
Als ich aufwache, fällt mein Blick auf die schmutzige, rissige Decke über mir. In einer Ecke hängt ein riesiges Spinnennetz. Dann gleiten meine müden Augen an der Wand entlang zu einem wackeligen Bücherregal, das mit Büchern, Videos, Briefen, altem Christbaumschmuck und schmutziger Unterwäsche voll gestopft ist.
Wie habe ich es nur all die Jahre in diesem Saustall ausgehalten?
Wieso habe ich es nicht mal gemerkt?
Ich schlage die Bettdecke zurück, stehe auf und schaue mich noch ganz verschlafen um. Der Teppich fühlt sich ganz krümelig unter meinen Füßen an, und ich verziehe das Gesicht. Igitt, der gehörte dringend gesaugt. Schätze mal, die Putzfrau ist auch nicht mehr gekommen.
Auf dem Boden liegen überall Klamotten herum, und ich wühle in dem Durcheinander, bis ich einen Morgenmantel finde. Ich schlüpfe hinein und schlurfe in die Küche. Ich hatte ganz vergessen, wie kahl und spartanisch es hier aussieht. Und der Kühlschrank ist natürlich leer. Immerhin finde ich irgendwo einen Beutel Kamillentee und setze Wasser auf. Dann lasse ich mich auf einem Barhocker nieder und schaue durchs Fenster, auf die Ziegelmauer von gegenüber.
Es ist schon Viertel nach neun. Ketterman wird jetzt bereits im Büro sein. Er wird tun, was er für richtig hält. Ich warte darauf, dass ich bei dem Gedanken nervös werde - aber das geschieht nicht. Ich bin eigenartig gelassen. Jetzt liegt das alles nicht mehr in meinen Händen. Es gibt nichts mehr, was ich tun kann.
Er hat mir zugehört. Er hat mir wirklich zugehört und mir Fragen gestellt und mir sogar eine Tasse Tee gemacht. Ich war über eine Stunde lang bei ihm. Er hat nicht gesagt, was er von dem Ganzen hält oder was er zu tun gedenkt. Er hat nicht mal gesagt, ob er mir glaubt oder nicht. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass er mir geglaubt hat.
Der Wasserkocher hat gerade zu kochen angefangen, als es an der Tür klingelt. Ich zögere - dann raffe ich meinen Morgenmantel zusammen und gehe barfüßig zur Tür. Ich schaue durch den Spion und sehe Mrs. Farley, die ebenfalls auf den Spion starrt, die Arme voller Pakete.
Natürlich. Wer sonst?
Ich öffne die Tür. »Hallo, Mrs. Farley.«
»Samantha, dachte ich mir‘s doch, dass Sie wieder da sind!«, ruft sie aus. »Nach all der Zeit! Ich hatte keine Ahnung ... ich wusste nicht, was ich davon halten
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