Goettin in Gummistiefeln
durchzuckt mich ein neuer Gedanke. Warum haben sie sich eine solche Mühe gemacht? Ich bin nicht die Erste, die gegangen wurde, aber man fand es deshalb nicht für nötig, deren Namen auszuradieren. Langsam, mit bösen Vorahnungen, gebe ich www.google.com ein und tippe dann »Samantha Sweeting« in die Suchbox. Und »Anwältin«, um ganz sicherzugehen. Dann drücke ich auf Enter.
Einen Moment später füllt sich der Bildschirm mit Text. Mit einem Gefühl, als hätte mir jemand mit einer Keule über den Schädel gehauen, überfliege ich die Einträge:
...
das
Samantha
Sweeting-Debakel
...
.... Samantha Sweeting
abgehauen, Kollegen müssen es ausbaden ...
... schon von
Samantha Sweeting
gehört ...
...
Samantha
Sweeting-Witze. Wie nennt man einen Anwalt, der...
...
Samantha Sweeting
von Carter Spink gefeuert...
Eine nach der anderen. Juristen-Websites, Fachnachrichtenagenturen, News-Seiten von Jurastudenten. Als habe sich die ganze juristische Welt hinter meinem Rücken das Maul zerrissen. Wie betäubt blättere ich zur nächsten Seite - und da steht noch mehr. Und auch auf der nächsten Seite und der übernächsten.
Es kommt mir vor, als stünde ich vor den Trümmern einer zerstörten Brücke. Zum ersten Mal erkenne ich das wirkliche Ausmaß der Verheerung.
Ich kann nie wieder zurück.
Das wusste ich.
Aber wohl doch nicht wirklich. Nicht tief im Herzen, in der Magengrube. Nicht dort, wo es zählt.
Ich spüre eine Nässe auf meinen Wangen und springe rasch auf, schließe sämtliche Websites und lösche auch noch die Historie, damit Eddie nichts finden kann, falls er neugierig werden sollte. Ich fahre den Computer herunter und blicke mich in dem stillen Zimmer um. Ich bin jetzt hier. Und nicht dort. Dieser Teil meines Lebens ist vorbei.
Iris‘ Cottage sieht geradezu idyllisch aus, als ich atemlos zu ihr gelaufen komme. Vielleicht liegt das daran, dass gerade eine Gans mit ihren Küken an mir vorbeispaziert.
»Hallo.« Sie blickt mit einem Lächeln von ihrem Sitzplatz auf, in der Hand eine Tasse Tee. »Du scheinst es ja mächtig eilig zu haben.«
»Ich wollte bloß nicht zu spät kommen«, keuche ich und schaue mich suchend im Garten um, aber Nathaniel scheint nicht da zu sein.
»Nathaniel musste weg, in eins der Pubs, wegen eines undichten Rohrs«, sagt Iris, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Aber er kommt später wieder. Wir können ja inzwischen Brot machen.«
»Prima!« Ich folge ihr in die Küche und binde mir dieselbe gestreifte Schürze um wie beim letzten Mal.
»Ich habe schon ein bisschen angefangen«, verkündet Iris und geht zur Anrichte, auf der eine große, altmodische Rührschüssel steht. »Hefe, lauwarmes Wasser, geschmolzene Butter und Mehl. Alles vermischen und man hat den Teig. Jetzt muss man ihn nur noch durchkneten.«
»Richtig«, sage ich und starre den Teig mit einem leeren Blick an.
Iris mustert mich kurz. »Alles in Ordnung mit dir, Samantha? Du wirkst irgendwie ... abwesend.«
»Mir geht‘s gut.« Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Tut mir Leid.«
Sie hat Recht. Ich bin nicht mit den Gedanken bei der Sache. Jetzt komm schon, konzentrier dich.
»Ich weiß, dass man das heutzutage alles maschinell machen kann.« Iris lässt den Teig mit einem Klatschen auf die Tischplatte fallen. »Aber wir machen es so wie früher. Und das schmeckt man, wirst sehen.«
Sie knetet den Teig rasch ein paar Mal durch. »Siehst du?
Zusammenfalten, dann eine Vierteldrehung und wieder zusammenfalten. Man braucht ein bisschen Kraft dazu.«
Vorsichtig lasse ich meine Hände in dem weichen Teig versinken und versuche nachzumachen, was sie mir gezeigt hat.
»Ja, genau«, sagt Iris, die mir aufmerksam zuschaut. »Du musst deinen Rhythmus finden und den Teig richtig durcharbeiten. Teig kneten ist sehr gut, wenn man Stress loswerden will«, fügt sie trocken hinzu. »Stell dir vor, du hättest da deine schlimmsten Feinde in den Fingern.«
»Mach ich!«, stammle ich ein wenig überfröhlich.
Aber mein Hals ist wie zugeschnürt, und das Kneten macht es nicht besser. Im Gegenteil: Je mehr ich falte und knete und falte und knete, desto schlimmer wird es. Ich kann nicht aufhören, an diese Website zu denken. An die schreiende Ungerechtigkeit.
Ich habe viel für diese Kanzlei getan. Ich habe Klienten gewonnen, Fälle erfolgreich bearbeitet. Ich war kein Nichts.
Ich war kein Nichts.
»Je mehr man knetet, desto besser wird der Teig«, sagt Iris und tritt mit einem Lächeln an den Tisch. »Spürst
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