Goettinnensturz
Eine Erinnerung an den gestrigen Abend. »Er muss ziemlich eifersüchtig sein. Hast du bemerkt, wie er sie angeschaut hat … Traust du ihm, Liesi?«
»Na ja …« Die Kellnerin hielt nachdenklich inne. »Eigentlich schon, und du?«
»Eigentlich …« Berenike zuckte die Achseln. »Was weiß ich. Einem Mörder sieht man nicht an, dass er tötet. Der rennt nicht mit blutunterlaufenen Augen herum.«
»Nein.«
»Stefan wirkte neidig auf Sylvies Buchveröffentlichung.«
»Das stimmt.«
»Trotzdem … Ich kann’s mir einfach nicht vorstellen, dass er wen umbringt.«
»Ich auch nicht. Dann hätte er schön Theater gespielt, Berenike.« Lieselotte sah sie grübelnd an.
»Wär nicht der erste Mörder, der Theater spielt.« Sie brauchte Tee, viel Tee, damit sie munter wurde. Damit sie ordentlich denken konnte.
Lieselotte ließ die Hand mit dem Putztuch sinken. »Und Sylvie hat sich auf ihrer Lesung prächtig amüsiert, im Gegensatz zu Stefan, wie es aussah.«
»Während Stefan seit Jahren nichts mehr geschrieben hat. Geschweige denn veröffentlicht.«
»An der Sache könnte was dran sein.« Lieselotte ging hinter die Theke und legte das Putztuch unter die Abwasch. »Du könntest mit Jonas reden, Berenike.«
»Ja. Allerdings …« Sie stockte.
»Er hat sicher viel um die Ohren mit den zwei Morden.« Lieselotte sah Berenike sinnierend an.
»Nicht nur jetzt. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich geh mich umziehen.«
Während Berenike im Büro die Jeans auszog und sich mehrfach in der Hose ihres Salwar Kameez verhedderte – ihr fehlte einfach die Konzentration! –, dachte sie an Jonas. Wenn er hier wäre, könnten sie alles besprechen … aber so wie es war, musste sie ihn allein ermitteln lassen. Dafür konnte sie sich mit ihrer neuen Konkurrenz beschäftigen. Früher war sie doch auch mit ihrem Leben allein klargekommen. Früher … Da war sie das Alleinsein gewöhnt gewesen. Trotz der vielen Menschen, die sie als Eventmanagerin ständig um sich gehabt hatte.
Sylvies Geisterbeschwörung fiel ihr wieder ein. Die angebliche Nachricht der Verstorbenen. Dieser rätselhafte Hinweis auf schwarz. Was, wenn dieser angebliche Geist ein Zeuge war? Jemand, der Angst vor dem Mörder hatte und deshalb nicht offiziell aussagen wollte. Was, wenn das Sylvie war? Wenn sie das Ergebnis des Glases beeinflusst hatte, um so einen Hinweis zu geben? Und nun wollte der Mörder die Autorin ausschalten, weil er vermutete, sie wüsste zu viel über die Taten? Es blieb merkwürdig.
Mit einem Kopfschütteln kehrte Berenike in den Teesalon zurück. Im Kalender stand ein Seminar über ›Selbsterkenntnis mit Do It Yourself‹ auf dem Plan. Also schnell den Literatursalon aufräumen, in dem die Reste der gestrigen Party herumstanden. Leere Tassen, Gläser, Teller, gemeinsam mit Lieselotte sorgte Berenike für Ordnung. Einige Bücher waren aus den Regalen gezupft worden, die sie jetzt an den richtigen Platz stellte. Dann die Tische zusammenschieben, die Sessel neu ordnen. Sie füllte Krüge mit Wasser und stellte saubere Gläser dazu. Öffnete die Fenster weit, ließ frische Luft herein. Herrliche, viel versprechende Frühlingsluft.
Drüben hatte sich unterdessen der Teesalon gefüllt. Also arbeiten. Teeblätter abmessen, Uhr einstellen, aufgießen. Assam, Sencha, Lindenblüten. Servieren, lächeln, weitermachen. Trotz des Steins in ihrer Brust, der einmal ihr Herz gewesen war.
Sie spürte Sepp schon, bevor er neben ihr stand, spürte Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit, bevor sie ihn ansah. Stefan folgte ihm, dann tauchte Alma auf, schließlich andere Mitglieder der Autorengruppe ›Pessoas Erben‹.
»Wie sieht’s aus? Habt ihr eine Spur zu Sylvie?«, fragte Berenike und erkannte beim Blick in die Gesichter die Antwort.
»Ich hab mit ihrer Nachbarin gesprochen«, erzählte Alma mit Grabesstimme, »sie hat Sylvie nicht mehr gesehen, seit sie am frühen Abend das Haus verlassen hat. Ihre Fenster waren dunkel, die ganze Nacht, sagt die Nachbarin.«
»Wir müssen weiter nach ihr suchen.« Sepp raschelte in seiner Schachtel herum, die er ausnahmsweise abstellte.
»Vielleicht auch nicht. Wir waren schon überall.« Stefan stierte die Theke vor sich an.
»Wie meinst du das?«
»Jemand bei mir in der Arbeit hat mir gesteckt, dass sie einen anderen hat. Haben könnte. Gernot heißt er. Also mein Kollege. Nicht der andere. Er hat mich heut am frühen Morgen angerufen.«
»Ach, und wer soll der geheimnisvolle andere
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