Göttlich verdammt - Angelini, J: Göttlich verdammt
nicht eingekeilt von malerischen Walfängerhäuschen. Sie rannte westwärts, die Nordseite der Insel entlang. Hinter ihr riefen Lucas und Hector ihren Namen und holten gewaltig auf.
Helen überquerte die Polpis Road, rannte um den Sesachacha Pond, bis sie den Atlantik sehen konnte. Sie musste sich verstecken, aber das Land war flach und die Luft klar und mondhell. Helen sah hinaus auf die dunkle See, deren Wellen sich im Mondlicht brachen, und sie betete, dass Nebel aufziehen und sie umhüllen würde. Dieser verdammte Ozean war ihr etwas schuldig, nachdem er ihr als Kind beinahe das Leben genommen hatte, dachte sie hysterisch. Jetzt sollte er gefälligst dafür bezahlen.Nach ein paar weiteren Riesenschritten wurden Helens Gebete wie durch ein Wunder erhört. Sie rannte Richtung Norden die Küste entlang auf die unbewohnte Landzunge an der Nordspitze in feuchte Nebelschwaden hinein.
In der feuchten Luft konnte Helen ihre Verfolger besser hören, wusste aber, dass dasselbe auch für sie galt. Panisch und vollkommen erschöpft kämpfte sie sich weiter und zwang ihren Körper, noch schneller zu werden. Sie würde rennen, bis das Land zu Ende war. Kurz bevor sie ohnmächtig wurde, spürte sie, wie ihr Körper plötzlich leicht wurde und ihr keuchender Atem sich beruhigte. Die Schmerzen, die ihr bei jedem ihrer Riesenschritte durch den ganzen Körper gefahren waren, hörten abrupt auf. Sie bewegte sich immer noch, aber sie fühlte nichts mehr außer der Kälte und dem Wind, der ihr durchs Haar fuhr. Der Nebel war weg, aber sie sah trotzdem nichts als Dunkelheit und Sterne um sich herum. Überall waren Sterne. Sie schaute nach unten.
Unter ihr funkelten winzige Lichter. Und alles, was sie sonst noch entdecken konnte, waren ihre Arme und Beine, die so mühelos in der Luft schwebten, als wäre sie unter Wasser. Sie sah noch einmal nach unten und erkannte die hübsche kleine Insel, auf der sie lebte. Ihr wurde schwarz vor Augen. Ohne einen Laut verlor sie das Bewusstsein und fiel wie ein Stein von dem Himmel, in den sie gerade erst aufgestiegen war.
6
E s war Nacht in dem trockenen Land. Helen war überrascht, dass es hier so etwas wie Zeit gab. Das verunsicherte sie so, dass sie sich umsehen musste, um zu erkennen, wo sie überhaupt war. Einen Moment später begriff sie, dass sie tatsächlich in dem trockenen Land war, allerdings war die Hügellandschaft diesmal flacher und weitläufiger. Der dunkle Himmel wirkte irgendwie niedriger und schwerer als sonst. Sie schaute über ihre Schulter und brauchte eine Weile, um zu begreifen, was sie da sah.
Weit weg von ihr zog sich eine Linie durch Land und Himmel und dort ging die flache Nachtlandschaft in die hügelige Taglandschaft über. Die verschiedenen Zeitzonen lagen nebeneinander wie zwei Gemälde im Atelier eines Künstlers – unbeweglich, unveränderlich und beide absolut real. Hier war die Zeit ein Ort, der sich nie bewegte. Irgendwie ergab das einen Sinn.
Helen wanderte. Es war kalt in der Nacht des trockenen Landes und ihre Zähne klapperten. In der Taglandschaft gab es keinen Schutz vor der Hitze, also wusste Helen genau, dass es in der Nachtlandschaft keine Wärme geben würde, egal, wie heftig sie zitterte. Vor ihr tauchte jemand auf. Er war in Panik.
Sie rannte auf ihn zu, bis sie erkannte, dass es Lucas war. Er war auf allen vieren und tastete herum, als wäre er blind – er griff immer wieder in die scharfkantigen Steine, die ihm die Hände zerschnitten. Er hatte große Angst. Sie rief seinen Namen, aber er konnte sie nicht hören. Sie kniete sich neben ihn und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Zuerst zuckte er zurück, doch dann streckte er ihr erleichtert die Arme entgegen. Er wollte ihren Namen sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Er fühlte sich in ihren Armen sehr leicht an. Sie zog ihn auf die Beine, obwohl er solche Angst hatte. Er stand geduckt und mit zitternden Knien da. Er weinte lautlos, und Helen wusste, dass er sie anflehte, ihn zurückzulassen. Er hatte zu viel Angst, sich zu bewegen, aber Helen war klar, dass sie nicht nachgeben durfte, denn dann würde er das dunkle, trockene Land nie wieder verlassen.
Obwohl er furchtbar schrie, zwang sie ihn loszugehen.
Helen hatte grauenvolle Schmerzen. Sie hörte den Ozean in ihrer Nähe rauschen, konnte sich aber nicht bewegen oder die Augen öffnen, um nachzusehen, wo er war. Sie spürte jedoch, wie ihr Kopf sanft auf und ab wiegte, als läge sie mit dem Bauch nach unten auf einem hölzernen
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