Göttlich verdammt - Angelini, J: Göttlich verdammt
Helen ein unbequemes Thema angeschnitten, denn alle tauschten über ihren Kopf hinweg nervöse Blicke.
»Entschuldigung, ich wollte nicht neugierig sein«, sagte Helen schnell.
»Nein, ist schon in Ordnung. Es ist nur so, dass Hectors kürzliche Heilung Teil von etwas Größerem ist«, sagte Noel. »Aber jetzt musst du erst mal essen.«
Als die große Schüssel Linseneintopf vor ihr auftauchte, hatte sie sich auch schon verloren. Sie nahm nur vage zur Kenntnis, dass andere Leute die Stühle heranrückten oder am Herd standen, um dieses oder jenes zu probieren, sich einen Teller holten oder nur herumstanden, um sich zu unterhalten. Sie konzentrierte sich viel zu sehr auf die immer neuen Gerichte, die vor ihr auftauchten, um einzelne Personen überhaupt noch wahrzunehmen. Noel sorgte ständig für Nachschub. Ein paarmal fiel Helen auf, dass Cassandra ein Tablett nach oben trug, aber sie realisierte gar nicht, dass Lucas oben war, bis sie schließlich über einem süßen Nusshörnchen fast einschlief.
»Möchtest du noch Eiskrem?«, fragte Noel und strich wie selbstverständlich eine dicke Strähne von Helens Haar hinter ihre Schulter, damit es nicht im Essen hing.
»Ich glaube, ich bin blind«, murmelte Helen, die nicht mehr kauen, schlucken oder geradeaus sehen konnte.
»Endlich«, seufzte Noel und ließ sich Helen gegenüber aufeinen Stuhl sinken. »Jason? Meinst du, du könntest sie nach oben tragen?«
»Klar«, sagte Jason und hob Helen von ihrem Stuhl. Sie war auf der Stelle hellwach.
»Ich kann laufen! Ehrlich, du musst mich nicht tragen«, sagte sie und wand sich in seinen Armen.
»Logisch kannst du das. Und jetzt halt still oder ich lass dich fallen«, erwiderte er mit einem fröhlichen Grinsen. Ihr blieb scheinbar keine andere Wahl, als sich tragen zu lassen.
Oben angekommen, sahen sie Cassandra mit einem Tablett aus einem der vielen Zimmer kommen. Helen konnte einen kurzen Blick auf Lucas in seinem Bett erhaschen. Sie reckte den Hals, um über Jasons Schulter eine bessere Sicht zu haben, aber Cassandra schloss die Tür.
»Wird er wirklich wieder ganz gesund?«, fragte Helen Jason, als er sie ins Gästezimmer trug.
»Klar«, antwortete Jason, konnte ihr dabei aber nicht in die Augen sehen. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Luke spielt nur den Kranken, damit Cass ihn verwöhnt. Er wird schon wieder«, sagte Jason. Nachdem er sie ins Bett gelegt hatte, wandte er sich zum Gehen.
»Es tut mir wirklich leid«, rief Helen, als er schon halb an der Tür war. Jason blieb verunsichert stehen. »Ich hatte solche Angst und bin in den Nebel gerannt und plötzlich fühlte ich mich ganz leicht und es war unheimlich kalt. Als ich dann nach unten gesehen und gemerkt habe, dass ich fliege, bin ich ohnmächtig geworden. Ich wusste schon immer, dass ich merkwürdig bin, dass mit mir etwas nicht stimmt, aber ich wusste nicht …« Helenverstummte. Jason kam zurück zu ihrem Bett und berührte ihre Schulter.
»Niemand gibt dir die Schuld«, sagte er, aber Helen machte eine abwehrende Handbewegung.
»Doch, das tut ihr. Ihr alle. Weil ich das Ganze ins Rollen gebracht habe, als ich Lucas in der Schule angegriffen habe.«
»Du hast das hier nicht begonnen«, widersprach Jason energisch. »Dieser Krieg begann vor vielen Tausend Jahren.« Helen sah ihn verständnislos an, aber er schüttelte den Kopf, bevor sie irgendwelche Fragen stellen konnte. »Schlaf ein bisschen und mach dir keine Sorgen um Lucas. Selbst im Vergleich zu anderen Söhnen Apolls ist er ein zäher Brocken.« Auf dem Weg nach draußen schaltete Jason das Licht aus, ließ die Tür aber einen Spaltbreit offen, für den Fall, dass sie in der Nacht um Hilfe rufen musste.
Helen kuschelte sich unter die dicke Decke und versuchte, sich zu entspannen, aber die Erschöpfung und die fremde Umgebung machten sie irgendwie unruhig. Und dann das Fliegen. Sie konnte fliegen – das war unbestreitbar. Sie war nicht nur eine begabte Sportlerin mit der paranoiden Wahnvorstellung, vielleicht das Ergebnis eines verrückten genetischen Experiments zu sein. Nein, sie konnte wirklich fliegen, was dem Homo sapiens aerodynamisch unmöglich ist. Sie musste also etwas anderes sein. Etwas anderes als ein Mensch.
Die einzige Erklärung war das, was Lucas ihr gesagt hatte, aber das ergab auch nicht sehr viel mehr Sinn. Die griechischen Götter waren Mythen, eigentlich nicht mehr als starke Naturgewalten, die von den Menschen personifiziert worden waren. Siewaren keine
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