Göttlich verdammt - Angelini, J: Göttlich verdammt
hätte.
Ariadne warf Helen einen besorgten Blick zu, aber Helen war mittlerweile alles egal – die Gefühle der anderen, aber auch, ob die Familie Delos sie für unhöflich oder verrückt oder beides hielt. Nichts davon spielte jetzt noch eine Rolle. Sie musste dieses Haus verlassen, bevor sie Lucas sah, sonst würde sie den Verstand verlieren. Es gehörte sich nicht, und es war peinlich, aber Helen schaffte es, ihren Dad zur Haustür hinauszuschaffen, bevor Lucas und Pallas von ihrer Unterhaltung in der Ecke aufschauten.
11
A m nächsten Morgen fuhr Helen mit dem Rad zur Schule und gab ihrem Dad die Anweisung, Lucas zu sagen, dass sie vor der ersten Stunde noch etwas zu erledigen hatte. Jerry war ein wenig empört, dass sich Helen weigerte, Lucas anzurufen und es ihm selbst zu sagen, aber sie konnte es einfach nicht ertragen, seine Stimme zu hören.
»Ist gestern Abend etwas passiert?«, fragte Jerry. Helen rannte zur Tür hinaus und radelte los, bevor er sie dazu bringen konnte, ehrlich zu antworten.
Der kalte Herbstwind kühlte angenehm ihr Gesicht, das ein wenig verquollen war, weil sie die halbe Nacht mit tränenden Augen wach gelegen hatte. Sie kam sich vor wie eine Idiotin. Natürlich war ihr klar, dass es Schlimmeres gab, als vom Jungen seiner Träume abserviert zu werden, aber im Moment fiel ihr leider nichts Schlimmeres ein.
Kate, Claire und sogar ihr Dad hatten sie wiederholt gefragt, was zwischen ihr und Lucas lief, als wäre es selbstverständlich, dass sie beide irgendwann zusammenkamen, aber niemand hatte Lucas je gefragt, was er davon hielt. Und jetzt wusste Helen es:Er würde sie »niemals anrühren«. Diese Worte tauchten immer wieder in ihrem Kopf auf; und nicht nur die Worte, sondern auch die Entschiedenheit, mit der er sie ausgesprochen hatte. Als fände er den Gedanken, sie zu küssen, einfach widerlich, was Helen nicht nur verletzte, sondern auch verwirrte. Wie konnte er die ganze Zeit ihre Hand halten, wenn er sie so abstoßend fand?
In der Schule angekommen, schloss Helen ihr Rad an und nahm einen Umweg zu ihrem Schließfach. Er war zwar länger, aber dafür Delos-frei und deshalb jeden zusätzlichen Schritt wert. Sie war so früh von zu Hause aufgebrochen, dass sie trotz des Umwegs als Erste in der Klasse war.
Claire bemerkte natürlich sofort, wie schrecklich Helen aussah. Als beste Freundin vergaß sie ihren Streit und stellte Helen, noch bevor sie sich hingesetzt hatte, ein Dutzend Fragen über ihre geröteten Augen und die unfrisierten Haare. Helen log, so gut sie konnte, aber so halbherzig, dass sie nie damit durchgekommen wäre, wenn Matt sie nicht unterstützt und Claire versichert hätte, wie schlecht es Helen am Tag zuvor gegangen war. Es half auch nicht gerade, dass Zach verächtlich schnaufte, während Helen versuchte, Claire abzuwimmeln. Helen ignorierte ihn wie gewöhnlich, aber sie spürte dennoch, wie er sie mit einem hochnäsigen Grinsen beobachtete.
Helen zog den ganzen Tag den Kopf ein und tat nur, was nötig war. Sie war an einem Punkt angekommen, an dem es ihr egal war, ob sie im Unterricht gut mitkam, die Aufmerksamkeit auf sich zog oder vielleicht Krämpfe bekam. Auf dem Weg in die Mittagspause überlegte sie, Magenschmerzen vorzutäuschen, um Lucas weiter aus dem Weg zu gehen. Sie wollte nicht in die Cafeteria gehen und allen begegnen, aber irgendwo musste sie ja zu Mittag essen. Helen stand direkt neben der Tür zur Aula. Sie war nur angelehnt, also stieß Helen sie auf und ging hinein.
Es brannte nur ein mattes Licht auf der Bühne und es war sehr still. Genau das, was Helen gesucht hatte. Sie setzte sich auf die Kante des Podiums und packte ihren Lunch aus. Kauend sah sie sich um und betrachtete die halb fertigen Bühnenbilder. Die Theater-AG gab jedes Jahr zwei Vorstellungen – ein Theaterstück im Winter und ein Musical im Frühjahr.
Sie fragte sich, welches Stück die Theater-AG wohl gerade probte, und entdeckte am Bühnenrand das Manuskript »Ein Sommernachtstraum«. Helen schlug die erste Seite auf und las: »ERSTE SZENE: ATHEN. EIN SAAL IM PALAST DES THESEUS«. Sie verdrehte die Augen und ließ das Manuskript entnervt fallen. Vielleicht zogen die Parzen in ihrem Leben wirklich die Fäden.
Helen brachte auch die letzten drei Stunden hinter sich, aber ihr Glück hielt nicht den ganzen Tag an. Als die Glocke das Ende des Schultags einläutete, hastete sie zu ihrem Schließfach, um so schnell wie möglich zum Lauftraining zu kommen, doch Lucas
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