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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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hatte ausdrücklich festgestellt, daß der Leichnam der Prostituierten keine Spuren von Mißhandlung aufwies und man sich nicht an ihr vergangen hatte. Das Mädchen war ganz einfach auf saubere und klassische Weise erwürgt worden. Seltsame Geschichte! Zum ersten Mal in seinem Leben sah sich Nour El Dine vor eine schwierige Aufgabe gestellt: Er mußte das Rätsel eines Verbrechens ohne erkennbares Motiv lösen. In einem solchen Milieu schien ihm ein Verbrechen ohne Motiv allerdings undenkbar. Ein derartiges Verbrechen setzte ein sehr viel höher entwickeltes Denkvermögen voraus, eine heimtückische Intelligenz, und konnte nur von einem gebildeten Menschen - vielleicht sogar von europäischer Bildung - begangen worden sein. Diese Art von Verbrechen fand man in der abendländischen Literatur beschrieben. Auf der Suche nach jemandem, der intelligent genug war, um ihm das Verbrechen anlasten zu können, strich der gelangweilte Blick des Offiziers nochmals über die Anwesenden hinweg. Keine der hier versammelten Gestalten entsprach jedoch dieser Beschreibung; sie waren weit davon entfernt, auch nur die geringste Ähnlichkeit mit diesem imaginären Mörder aufzuweisen, der sich in den Büchern beschrieben fand. Nour El Dine fühlte sich so allein mit seinem Verbrechen ohne Motiv, daß ihm ein Augenblick lang ganz unheimlich zumute war. Er ging zu einem Sessel neben dem Tisch, setzte sich, schlug die Beine übereinander und schickte sich an, eine Zigarette anzuzünden.
    Sklaverei der Routine: Er würde alle diese Leute verhören müssen. Ohne jedes Ergebnis, das wußte er im voraus. Was sollte man aus dieser Ansammlung erbärmlicher Leute herausholen können, die schon bei der Vorstellung, ihre Ehre zu verlieren, erzitterten. Seine Kraft mit solchen Gegnern zu messen war ein Unterfangen, das ihn nicht interessierte. Der Gedanke daran widerte Nour El Dine an; ein schwermütiger Überdruß bemächtigte sich seiner Seele und lähmte jeden Tatendrang in ihm. Um ehrlich zu sein, im Augenblick bereitete ihm in erster Linie eine Privatangelegenheit, ein Beziehungsproblem, Sorgen. Man hatte ihn in einem für sein eigenes Leben entscheidenden Augenblick, in einem Augenblick, den er eigentlich der anspruchsvollsten aller Leidenschaften widmen wollte, mit diesem Fall betraut. Diese verpaßte Verabredung mit dem jungen Samir nahm für ihn katastrophale Ausmaße an. Er mußte unentwegt daran denken. Da er die Empfindlichkeit des jungen Mannes kannte, sah er keine Möglichkeit, wie er seine Unfreundlichkeit entschuldigen könnte. Bei ihrer nächsten Begegnung würde er sich sicher vollkommen unnachgiebig zeigen. Würde er es überhaupt zu einer weiteren Verabredung kommen lassen? Diese beängstigende Frage beeinträchtigte sein gesamtes Handeln und ließ ihm keine Ruhe. Noch nicht einmal der Einbruch eines Verbrechens ohne erkennbares Motiv in das Universum seiner düsteren Gedanken vermochte seine Befürchtung zu zerstreuen.
    Obwohl er nicht so wirkte, war der Polizeioffizier Nour El Dine ein leidenschaftlicher Anhänger des Schönen. Dieser Beruf, der ihn mit dem Abschaum der Gesellschaft in Berührung brachte, widerte ihn zunehmend an und rieb ihn in gewisser Hinsicht immer mehr auf. Es verletzte sein ästhetisches Empfinden und machte ihn sehr unglücklich, daß er, umgeben von minderjährigen Delinquenten und beschränkten Kriminellen, die sich auf der Entwicklungsstufe von Wilden befanden, ständig im Schmutz der armen Stadtviertel herumwaten mußte. Trotzdem glaubte er an seinen Beruf; er war vollkommen davon überzeugt, daß die Polizei eine edle Aufgabe erfüllte. Es hätte ihm gefallen, sich nur mit schönen Verbrechen beschäftigen zu müssen, die von intelligenten und feinsinnigen Mördern begangen wurden. Statt dessen hatte er es ständig mit schrecklichen und ungebildeten Wesen zu tun.
    Welcher Mann wäre nicht verbittert, wenn er mitansehen muß, wie man sein Ideal so mit Füßen tritt? Tyrannei des Schicksals! Nour El Dine glaubte zu ersticken; er öffnete den obersten Knopf seines Rocks und befreite seinen Hals vom Druck des engen Kragens. Diese Geste, die den vorschriftsmäßigen Verhaltensrichtlinien widersprach, verschaffte ihm eine gewisse Erleichterung. Unwillkürlich konzentrierten sich seine Gedanken wieder auf das Verhör. Die Mädchen hatten alle ein hieb-und stichfestes Alibi. Es machte keinen Sinn, sie zu verhören: Es waren Lasttiere, dumm und ungebildet; sie würden ihm seine Aufgabe nur erschweren. Blieben

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