Gohar der Bettler
unentwegt und wiederholten ständig, daß sie zu tun und es eilig hätten. Aber ihr Gejammer beeindruckte den schrecklichen Polizisten, der die Eingangstür bewachte, überhaupt nicht. Jetzt unterhielten sie sich miteinander über ihre jeweilige gesellschaftliche Stellung, wobei sie zu verstehen gaben, daß eine fälschliche Anschuldigung ihrer Person möglicherweise einen Skandal von internationaler Tragweite verursachen könnte.
»Ich werde mich in dieser Angelegenheit an den Minister wenden, der ein Freund von mir ist«, sagte derjenige von ihnen, der am schäbigsten aussah.
Die beiden anderen schwiegen; er war ihnen zuvorgekommen; dem Minister hatten sie nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Einen Moment lang dachten sie daran, ihre Beziehungen zum König zu erwähnen, das schien ihnen dann aber doch ein bißchen zu hoch gegriffen, und sie gaben sich damit zufrieden, vage Beziehungen zu hochgestellten Persönlichkeiten ins Feld zu führen.
Das hervorstechendste Element dieser Versammlung war aber ohne Zweifel Set Amina, die Bordellbetreiberin. Sie saß zusammengesunken in einer Ecke des Sofas, stützte eine Hand gegen die Wange und gab so das wahrhaftige Bild der gemarterten Unschuld ab. Sie bedauerte sich selbst mit weinerlicher Stimme, stieß herzzerreißende Seufzer aus und rief Gott als Zeugen ihres Unglücks an.
»Was für ein schwarzer Tag! Oh, mein Gott, was habe ich dir nur getan!«
Nachdem Nour El Dine mehrmals in die Runde geblickt hatte - immer noch diese stumpfsinnige Routine -, ging er energischen Schrittes auf sie zu; er wirkte gereizt und entschlossen, sie alle hinter Gitter zu bringen.
»Hör auf mit diesem Getue, Weib!« sagte er entschlossen.
Wie durch ein Wunder verstummte Set Amina. Sie unterdrückte ihre Klagen und wurde demütig und unterwürfig. Sie war ja nicht dumm: es wäre nutzlos, die Vertreter der Staatsgewalt zu verärgern. Sie wußte um den Ernst der Lage; diesmal bestand die Gefahr, daß ihr Haus für immer geschlossen würde. Ein Verbrechen! Das könnte das Ende ihrer beruflichen Laufbahn bedeuten.
»Also«, fuhr der Offizier fort, »was hast du mir zu erzählen?«
»Was sollte ich dir erzählen können, Exzellenz? Bei meiner Ehre, ich weiß nichts. Ich war den ganzen Nachmittag über mit den Mädchen weg, um Besorgungen zu machen. Bei unserer Rückkehr bin ich in das Zimmer von Arnaba gegangen, um ihr zu sagen, daß sie sich fertig machen soll. Da habe ich sie tot auf ihrem Bett liegen sehen. Ich habe laut geschrien, und alle Mädchen sind herbeigelaufen und haben gesehen, was passiert ist. Gott möge es dir ersparen, mein Bey, daß du jemals ein solches Schauspiel miterleben mußt! Mein Blut ist vor Schreck geronnen.«
»Das überrascht mich aber bei dir, Weib! Du läßt also dein Haus einfach so verwaist zurück und gehst in die Stadt zum Bummeln? Das kann nicht wahr sein! Ich hätte dich für gewissenhafter gehalten.«
»Die Mädchen hatten ihren freien Tag. Sie müssen ja auch mal an die frische Luft.«
»Und warum ist Arnaba nicht mit euch zusammen weggegangen?«
»Ich weiß es nicht, Exzellenz! Sie hatte ihre Launen. Und weil sie neu war, wollte ich sie zu nichts zwingen. Sie arbeitete gut, das war das wichtige.«
»Um wieviel Uhr seid ihr zurückgekommen?«
»Ungefahr um sechs.«
»Außer Arnaba war niemand im Haus?«
»Nein, Exzellenz. Sonst niemand.«
»Könnte es deiner Meinung nach ein Kunde gewesen sein?«
»Was willst du damit andeuten, mein Bey? Meine Kunden sind allesamt rechtschaffene Leute. Sie könnten noch nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun.«
»Aber du, du wärst dazu imstande, du schamloses Weib! Es würde mich nicht wundern, wenn du sie umgebracht hättest.«
Angesichts dieser direkten Anschuldigung reckte Set Amina zum Zeichen der Verzweiflung die Arme zum Himmel und wollte wieder in ihre Rolle als Klageweib zurückfallen; aber der Offizier unterbrach sie rechtzeitig.
»Sag mal, weißt du, ob sie Geld bei sich versteckt hatte?«
»Sie besaß kein Geld. Ich bewahre ihr ganzes Geld auf.«
»Bist du sicher?«
»Absolut, mein Bey!«
»Gut, Weib. Ich werde mich später um dich kümmern. Und ich rate dir, solange keinen Ton von dir zu geben.«
Der Polizeioffizier runzelte die Stirn und schien sehr unschlüssig. Bereits bei der ersten Bestandsaufnahme stieß er auf einen seltsamen Tatbestand: es handelte sich nicht um Raubmord; nichts war gestohlen worden. Auch ein Sadist konnte es nicht gewesen sein. Der Gerichtsmediziner
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