Gohar der Bettler
die Mittel, dem Gesetz Geltung zu verschaffen und die Schuldigen zu bestrafen. Unglücklicherweise begann dieses Gefühl in ihm zu schwinden; am Ende glaubte er nicht mehr wirklich an die Sache, der er diente. Und das war schlimm.
Er kämpfte gegen seinen Überdruß an und bereitete sich darauf vor, mit dem Verhör zu beginnen.
In diesem Moment klopfte es an der Eingangstür. Eine längere Stille trat ein, dann gab Nour El Dine dem Wachpolizisten ein Zeichen: dieser öffnete vorsichtig die Tür.
El Kordi trat lässig und heiter lächelnd in den Vorraum ein, blieb aber plötzlich verblüfft stehen, so als hätte er sich in der Tür geirrt. Beim Anblick der merkwürdigen Versammlung, die sich seinem Blick darbot, weiteten sich seine Schlitzaugen. Er hatte zu lächeln aufgehört. Er wollte etwas sagen, vielleicht sich entschuldigen, aber der Polizist ließ ihm keine Zeit zum Sprechen; er packte ihn beim Arm, zerrte ihn vor den Offizier und sagte:
»Noch ein Kunde, mein Bey!«
»Ich sehe, daß dein Geschäft floriert«, sagte der Offizier zu Set Amina.
Dieser Sarkasmus schmerzte die Inhaberin. Sie wußte nur zu gut, daß ihr Geschäft florierte, darauf mußte sie nicht erst hingewiesen werden. Und jetzt lief sie Gefahr, alles wegen dieses schamlosen Mörders zu verlieren. Wieder brach sie in Wehklagen aus:
»Warum bleibt das Unglück nur so hartnäckig an mir haften? Ich bin eine arme Frau!«
»Schweig!« befahl Nour El Dine, »oder ich stecke dich ins Gefängnis. Kümmern wir uns jetzt ein bißchen um diesen jungen Mann hier.«
»Um mich?« fragte El Kordi.
Mehr brachte er nicht heraus. Er verstand immer noch nicht, in welche Falle er getappt war. Seine Anwesenheit an diesem Ort schien Teil eines Traums zu sein. Ein dummer Scherz. Er zwinkerte ständig mit den Augen, als würde er eine lästige Vision vertreiben wollen. Was hatte dieser Offizier hier zu suchen? Auf einmal begriff er alles: eine Razzia. Er hätte beinahe zu lachen angefangen.
»Ja, um dich«, sagte Nour El Dine.
El Kordi, dem klar wurde, daß die ganze Sache nicht weiter von Bedeutung war, fand langsam seine Fassung wieder; sein Lächeln kehrte zurück. Dieses Lächeln allerdings behielt er gewöhnlich den Repräsentanten des Systems vor: ein ironisches, beinahe beleidigendes Lächeln.
Der Offizier sah ihn streng an. Dieser Neuankömmling würde das Verhör noch in die Länge ziehen; allein deshalb schon war Nour El Dine nicht gut auf ihn zu sprechen. Dennoch entging ihm nicht, daß er hier die erste in diese sicherlich sehr merkwürdige Geschichte verwickelte Person vor sich hatte, die gesittet wirkte. Ein Hoffnungsschimmer blitzte in seinem Hirn auf und dämpfte sein Bedürfnis, grob zu werden.
»Was geht hier vor?« fragte El Kordi.
»Ich werde es dir gleich erklären. Setz dich. Vor allem aber, verhalte dich ruhig.«
El Kordi zuckte mit den Schultern, rückte seinen Tarbusch zurecht und sah zum Sofa hinüber; die Mädchen drängten sich noch immer um Set Amina, die sich jetzt nur noch einer stummen Verzweiflung hingeben konnte. Als er Naila, ihr blasses und von Tränen gezeichnetes Gesicht erblickte, wurde er vom Feuer der Leidenschaft ergriffen und stürzte auf sie zu. Er sah sich schon in seiner Rolle als Verfechter der Gerechtigkeit, der sie aus den Fängen der Polizei befreite.
»Macht mir Platz!«
Die Mädchen rückten noch enger zusammen, um einen Platz für ihn freizumachen; El Kordi setzte sich neben Naila, nahm ihre Hand und hielt sie ganz fest in der seinen. Diese rührende Aufmerksamkeit aber vermochte der jungen Frau anscheinend keinen Trost zu spenden. Die Anwesenheit ihres Liebhabers schien ihr im Gegenteil unangenehm zu sein und ihre Not noch zu vergrößern. Naila besaß nämlich so etwas wie Selbstachtung! El Kordis Pläne, sie aus ihrer Situation als billige Hure zu befreien, machten sie wütend, weil sie ihr aus der Luft gegriffen und unrealistisch vorkamen. Sie verfügte über genügend Realitätssinn, um zu wissen, daß El Kordi nicht dazu geeignet war, jemanden zu retten. Sie fragte sich manchmal, ob er sich selbst gegenüber ehrlich war und sich nichts vormachte. Darüber hinaus wollte sie ihr Wohl nicht in die Hände eines anderen Menschen legen. Ihr Zusammensein mit El Kordi endete jedesmal im Streit, wenn er seinen Wunsch äußerte, daß sie dieses entwürdigende Leben aufgeben sollte.
»Sagt mal, Mädchen, was hat euch die Ehre dieser Razzia verschafft?« fragte El Kordi.
»Das ist keine Razzia«,
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