Gohar der Bettler
müßte er ihn kennen. Er kannte alle, die zu Set Amina kamen. Er versuchte angestrengt, sich jeden von ihnen ins Gedächtnis zu rufen, sie waren jedoch allesamt so unbedeutend, so wenig greifbar, daß ihm die Vorstellung, sie eines Verbrechens zu beschuldigen, vollkommen lächerlich vorkam.
Er überlegte auch, ob er nicht eine geheime Untersuchung ins Auge fassen sollte; nein, nicht etwa, um den Mörder verhaften zu lassen; El Kordi hätte ihn niemals denunziert. Nur die Gründe für seine Tat hätte er gern von ihm erfahren. Vielleicht handelte es sich sogar um ein politisches Verbrechen, denn er hatte nichts gestohlen. Das Motiv. Das zu erfahren wäre interessant gewesen.
Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel des Schranks, erinnerte sich an die darin verschlossenen Medikamente und wandte den Kopf ab.
»Nun gut, ich werde mich ausziehen. Rück mal ein wenig, daß ich mich zu dir legen kann.«
»Du hast nur das eine im Kopf«, sagte Naila.
In ihrer Stimme klang Verbitterung mit.
»Aber natürlich, Liebling«, antwortete El Kordi. »Woran sollte ich denn sonst denken?«
»Wie kannst du nur ein krankes Mädchen wie mich lieben? Wo ich doch im Augenblick so häßlich bin.«
»Deine körperliche Schönheit spielt doch überhaupt keine Rolle! Du hast es noch nicht verstanden: deine Seele ist es, die ich liebe.«
Wenn El Kordi mit einer Frau schlafen wollte, war er in der Lage, alles mögliche zu erzählen. Nichts vermochte ihn aufzuhalten. Auf diesem Gebiet hielt er die schlimmsten Lügen sogar für unerläßlich.
Obwohl sie die Liebeserklärung El Kordis alles andere als überzeugend fand, entgegnete sie weiter nichts. Es hatte keinen Zweck, seine verstiegenen Äußerungen zu hinterfragen; weder die wahren Motive noch das Ausmaß seiner Liebe würde sie jemals in Erfahrung bringen. Trotzdem, was für ein Hundesohn! Zu behaupten, daß er ihre Seele liebe! Das war ein bißchen stark. Sie sah, wie er sich seiner Kleidung entledigte und sie sorgsam über einen Stuhl legte. Zog er sich etwa wegen ihrer Seele aus? Dummkopf! Wer sollte ihm das denn glauben? Sie hätte beinahe zu lachen angefangen, beherrschte sich aber. Immer noch starrte sie ihn mit vor Angst wie versteinerten Augen an. Auch sie dachte an den Mörder. Ihre Angst hatte sie in dem Augenblick befallen, als sie die Schreie Set Aminas und die entsetzten Ausrufe der Mädchen gehört hatte. In der Einsamkeit ihres Zimmers, und noch bevor sie den Sinn dieses Tumultes überhaupt verstand, hatte sie eine düstere Vorahnung ergriffen. Erst später hatte sie eine Verbindung zwischen dem Verbrechen und der Anwesenheit El Kordis hergestellt. Diese nichtssagende Koinzidenz sowie das Verhalten des jungen Mannes während seiner Vernehmung hatten ausgereicht, um in ihr einen unerträglichen Zweifel zu nähren. Und wenn er der Mörder wäre?
Während der drei Tage, in denen Naila ihren Liebhaber nicht mehr gesehen hatte, versuchte sie vergeblich, ihren fürchterlichen Verdacht loszuwerden. Aber die Geheimniskrämerei El Kordis sowie sein rätselhaftes Verhältnis zu dem Offizier, der die Untersuchung leitete, vergrößerten ihre Befürchtungen nur noch. Sie hätte ihn gern dazu befragt, getraute sich aber nicht.
El Kordi war nun vollkommen nackt; selbst jetzt bewahrte er seine ganze Würde, denn er hatte vergessen, den Tarbusch abzunehmen. Plötzlich bemerkte er es, nahm ihn ab und plazierte ihn oben auf die ordentlich über den Stuhl gehängten Kleider. Dann legte er sich neben die junge Frau, schloß sie in seine Arme und drückte sie beschützend an seine Brust.
»Sag mal: du warst es doch nicht?«
»Ich, was denn, Mädchen?«
»Der sie umgebracht hat.«
»Was redest du da? Du bist verrückt!«
»Die ganzen letzten Tage über dachte ich, daß du es vielleicht gewesen wärst. Ich bin gestorben vor Angst. Du warst es also nicht?«
»Natürlich war ich es nicht. Was denkst du dir denn aus? Ich habe niemanden umgebracht.«
Er runzelte die Stirn und überlegte, während Nailas Kopf auf seiner Schulter ruhte. Sie hatte ihn also tatsächlich dieses Verbrechens verdächtigt. El Kordi war fassungslos; noch stärker aber erschütterte ihn eine teuflische Idee, die gerade in seinem Gehirn zu keimen begann. Und wenn er sie in dem Glauben ließe, daß er der Mörder der jungen Prostituierten war? Was würde er schon dabei riskieren? Dies war für ihn eine Unverhoffte Gelegenheit, sich mit romantischem Ruhm zu bedecken und den geheimnisumwobenen Helden zu
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