Gold und Stein
zusammen.
»Siehst du, genau das ist es!« Lores Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Ich werde mich nicht aufregen, denn ich weiß, du bist bei mir und hilfst mir, den letzten Schritt zu tun. Du bist eine starke Frau, Liebes. Kaum zu glauben, dass ich dich aus meinem Schoß geboren habe. Ich bin so unendlich stolz auf dich.«
»Schon gut«, krächzte Gunda.
»Auch auf Agnes müssen wir stolz sein, Liebes«, sagte Lore wieder ungewöhnlich klar. »Du darfst ihr nicht zürnen, weil sie weggelaufen ist. Sie konnte nicht anders. Versprich mir, dass du deinen Frieden mit ihr machst und ihr verzeihst.«
Einen kurzen Moment blieb Gunda die Luft weg. Dann traf sie Lores Blick. Sie wusste, es blieb ihr keine Wahl. Sie musste es versprechen, sonst würde sie selbst keinen Frieden finden.
»Ich verspreche es dir, Mutter. So schnell wie möglich breche ich auf und suche nach ihr, um mich mit ihr auszusöhnen.«
»Und die Heirat mit Kollmann wird nicht stattfinden.«
»Ja.« Folgsam nickte Gunda.
»Es gibt nicht viele Orte, wohin Laurenz Agnes gebracht haben kann«, fuhr Lore fort. »Als Werkmeister ist er auf seine Auftraggeber angewiesen und muss seiner Arbeit nachgehen. Agnes wird er dabei nicht um sich haben können. Wie sollte er einem Pfleger der Kreuzherren oder einem braven Bürger gegenüber ihre Begleitung rechtfertigen? Am ehesten wird er sie in den Königsberger Löbenicht gebracht haben. Seine Mutter mag gestorben sein, dennoch wird er dort Verwandte haben, denen er Agnes anvertrauen kann. Ohne deine Zustimmung wird er sie nicht heiraten. Also muss er sie bei jemandem lassen, bis er dich erreicht hat. Für seine Redlichkeit gebe ich dir mein Wort. Er wird darauf bestehen, dass auch Agnes sich mit dir versöhnt.«
Fest umklammerte sie die Hand ihrer Tochter. Gunda musste einen Aufschrei unterdrücken. Es gelang ihr nicht, sich dem Griff der eisig kalten, knochigen Finger zu entziehen. Zugleich verblüffte sie die Scharfsichtigkeit, mit der Lore ihr Agnes’ vermutlichen Aufenthaltsort erklärte. Warum war sie nicht längst selbst darauf gekommen?
»Ich freue mich, dass du zur Vernunft gefunden hast, mein Kind. Du weißt selbst am besten, wie das mit der wahren Liebe ist. Sie ist mit allerlei Leid verbunden.«
Ein Leuchten erfüllte Lores Augen. Das eingefallene Gesicht fand noch einmal zu seiner einstigen Schönheit zurück. Gerührt hielt Gunda die Luft an, konnte den Blick nicht von der Mutter wenden. Lore indes gönnte sich keine Ruhe.
»Agnes ist genau aus diesem Grund deine Tochter, so wie du aus demselben Grund meine Tochter bist. Uns ist es nicht vergönnt, einfach so zu lieben. Unserer Liebe obliegt immer auch ein großer Schmerz, ein Leid, das wir erdulden müssen. Dennoch müssen wir an unserer Liebe festhalten. Haben wir es einmal überstanden, so steht uns das Tor zur Glückseligkeit für alle Ewigkeit offen. Erinnerst du dich an die Verse, die die Spielleute uns zu Hause in Dortmund vorgetragen haben? Sie sind und bleiben wahr: ›Wem nie aus Liebe Leid geschah …‹«
»›Dem geschah auch das Glück der Liebe nicht‹«, stimmte Gunda gedankenverloren zu. Die Erinnerung an einen besonderen Abend trat ihr vor Augen. Ein kleiner Kreis Gäste saß um das Feuer in ihrem Haus in Dortmund versammelt, ein Sänger trug ihnen den
Tristan
vor. Ausgerechnet bei diesen Zeilen traf sie ein vielsagender Blick Gernots. Kurz darauf hatte er bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten. Ergriffen schluchzte sie auf. Das brachte sie zurück ins Wehlauer Schlafgemach. Großer Frieden lag über dem Raum. Versonnen spürte sie dem nach. Der Schmerz in ihrer Hand war verschwunden. Befreit bewegte sie sie. Ohne Widerstand glitten Lores Finger herunter.
Erst da begriff Gunda, was geschehen war: Lore war von ihr gegangen!
Sie erwachte wie aus einem Traum. Lores sanftes Sterben hatte seinen Schrecken verloren und Gundas ewige Eifersucht niedergerungen. Die Vorstellung, die Mutter von jetzt an für immer selig in den Armen ihres Vaters zu wissen, hatte etwas unendlich Tröstliches. Wenigstens bei ihr hatte die Liebe endlich über das Leid gesiegt. Vorsichtig faltete sie Lore die Hände über der Brust. Die Kälte des leblosen Körpers schreckte sie nicht mehr. Liebevoll ruhte ihr Blick auf dem mütterlichen Antlitz. Noch immer schien ein versonnenes Lächeln darauf zu liegen. Lediglich das Leuchten der Augen war erloschen. Gunda schloss ihr die Lider, hauchte einen letzten Kuss auf die lange, schmale Nase.
»Danke,
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