Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
dog!«,
zischte Editha leise. Unfassbar, dass sich ihr eleganter Gemahl von solch einem dahergelaufenen Lump einschüchtern ließ!
    »Was stört Euch daran, dass ich eine neue Quelle in Wehlau aufgetan habe?«, fragte Gernot.
    »Mein Mann hat recht«, schaltete sie sich ein und überging Gernots warnendes Augenrollen. »Am Ende wird es für alle Königsberger Kaufleute von Vorteil sein, wenn er diese Verbindung ausprobiert hat und für verlässlich empfehlen kann. Vermittelt hat das Geschäft übrigens der ehrwürdige Rehbinder. Ihr selbst, mein lieber Spelmann, schwört doch auch auf seine Dienste, wenn es neue Quellen in Riga, Tallinn oder Nowgorod aufzutreiben gilt, nicht wahr? Nun also hat er jemanden in Wehlau aufgetan, der bestes Eibenholz aus Litauen zu einem sehr guten Preis liefert. Das Holz geht übrigens nach London. Damit knüpft unser Kontor an frühere Geschäfte an. Nur zu gern haben die englischen Bogenschützen damals über Königsberger Kaufleute Holz für ihre berühmten Bogen bestellt. Auch das eröffnet für alle hier am Pregel neue Möglichkeiten.«
    Sie reckte das Kinn und schob die breiten Hüften heraus. Unauffällig knuffte sie Gernot in die Seite. Er sollte nicht stumm dastehen wie ein ob einer Missetat zurechtgewiesener kleiner Junge. Erst beim zweiten Knuffen und nach Abwarten eines weiteren eindringlichen Donnergrollens räusperte er sich, wippte auf den Fußspitzen und betrachtete Spelmann nachdenklich. »Was also ist so verwerflich an meinem Tun? Schaut Euch um: Ihr alle bezieht Holz aus Litauen, woher auch sonst? Davon abgesehen, ist es kaum mehr möglich einzuschätzen, ob der Gewährsmann, mit dem man heute ein Geschäft vereinbart hat, morgen noch zum selben Lager gehört wie man selbst. Die Lage im Ordensland ändert sich derzeit schneller, als so manch einer sein Hemd und seine Strumpfhosen wechselt.«
    Ein abfälliger Blick streifte Spelmanns verwahrloste Gewandung. Editha kicherte. Gelegentlich fand Gernot zu seiner früheren Scharfzüngigkeit zurück. Aufmunternd zwinkerte sie ihm zu. Schon plusterte er sich weiter auf, verschränkte abermals die Hände auf dem Rücken und fuhr in süßlichem Ton fort: »Waren wir Altstädter nicht bis in den April hinein selbst noch bündisch, mein lieber Spelmann? Der Kneiphof war es gar bis vor wenigen Tagen. Euch als meinem langjährigen Zunftgenossen muss ich wohl kaum erklären, wie langfristig dagegen unser Handel verläuft. Vor Monaten schon sind die Geschäfte ins Rollen gekommen, die wir heute hier begutachten lassen. Ihr werdet nicht abstreiten können, wie anders damals die Entwicklung im Ordensland ausgesehen hat.«
    Über seinen Worten war Spelmann ruhig geworden. Seine knochigen Schultern waren nach vorn gesackt, unter dem fadenscheinigen Rock stach der helle Stoff des Leinenhemds hervor. Abrupt hob er den Kopf. Im selben Moment zuckte ein gewaltiger Blitz über den grauschwarzen Himmel, ließ ein markerschütterndes Krachen folgen. Eine Böe peitschte heran, brachte Holzstapel zum Umfallen, jagte einzelne Latten und Kübel polternd über die Erde. Die Kaufleute schrien auf, rannten kopflos umher. Jeder versuchte, sein Holz zu retten. Die Holzbraker waren sichtlich überfordert mit der Aufgabe, die weiteren Lieferungen zu prüfen und den verzweifelten Bitten einiger Kaufleute nachzukommen, mit anzupacken, bevor das Unwetter eine noch schlimmere Verwüstung anrichtete. Auch Gernot stürmte davon, um mit seinen beiden Fuhrknechten den schlimmsten Schaden für seine Ware zu verhindern.
    »Ihr zieht also Eure Vorwürfe gegen meinen Gemahl zurück?«, wandte sich Editha an Spelmann, sobald sich die Böe gelegt hatte. Seltsamerweise war er der Einzige, der ruhig geblieben war.
    »Vorwürfe? Wie kommt Ihr darauf, ich hätte ihm Vorwürfe gemacht?« Übertrieben sorgfältig zupfte der schmächtige Kaufmann an seinem verblichenen Rock, verknotete lose Fäden und richtete locker am letzten Faden baumelnde Knöpfe gerade. »Ich habe lediglich gesagt, was alle Zunftgenossen in der Altstadt und im Löbenicht denken: dass es um das Kontor Eures verehrten Herrn Gemahl schlecht bestellt sein muss, wenn er sich in Zeiten wie diesen so verzweifelt an den Handel mit einem bei uns unbekannten Wehlauer Kaufmann klammert. Mag auch der ehrwürdige Rehbinder der Gewährsmann sein, so ist doch offenkundig, was dieser Unbekannte aus Wehlau im Schilde führt: Zugang zu uns redlichen Königsbergern will er sich verschaffen. Dabei setzt er auf ein

Weitere Kostenlose Bücher