Gold und Stein
kostbare Zeit? Ohne nachzudenken, warf sie sich Laurenz entgegen.
Zu ihrer Verwunderung breitete er die Arme aus. Und nicht nur das. Gierig zog er sie an sich. Sie spürte seinen aufgeregten Herzschlag durch den Stoff des Surkots hindurch, bemerkte die Wärme seines Körpers und sog den herben Geruch nach Schweiß und Sonne ein, der ihn umfing. Beglückt schloss sie die Augen, streckte ihm den halbgeöffneten Mund entgegen. Sogleich presste er seine Lippen auf die ihren. Sie spürte, wie das Feuer des Begehrens in ihr aufloderte und sie alles vergessen ließ. Seine Liebe würde ihr helfen, mit den Schatten der Vergangenheit leben zu können.
22
I n den folgenden Tagen gelang es Agnes zu ihrer eigenen Verwunderung weiterhin leicht, sich zu den heimlichen Stelldicheins mit Laurenz aus dem Silbernen Hirschen zu stehlen. Griet zwinkerte ihr jedes Mal verschwörerisch zu, wenn sie unter einem Vorwand zur Tür hinauseilte. Auch Ulrich schmunzelte wissend. Zunächst störte sie das, dann aber lernte sie, damit umzugehen. Gunda dagegen war viel zu beschäftigt, um ihr häufiges Fortbleiben zu bemerken. Entweder stand sie im Sudhaus, maischte ein, kümmerte sich zusammen mit Ulrich um das Abfüllen des frisch gebrauten Bieres, oder aber sie war selbst außerhalb des Wirtshauses in Geschäften unterwegs. Gesprochen hatten sie seit Tagen kaum miteinander. Was Agnes sonst beunruhigt hätte, kam ihr jetzt entgegen. Ganz konnte sie sich der Wonne hingeben, Laurenz wiedergefunden zu haben. Ihn vor sich zu sehen, seinen klugen Worten zu lauschen oder einfach nur seine Nähe zu spüren, lenkte sie von ihrem Ärger über die Mutter ab. Das allein zählte.
»Man liebt nur einmal richtig im Leben«, raunte Griet ihr eines Mittags zu, als sie ihr zwei Schalen zum Auffüllen der Suppe entgegenstreckte. Im Dunst der rege im Sud köchelnden Gemüsestrünke lächelte die Magd ihr aufmunternd zu. »Genieß die Glut der wahren Leidenschaft in vollen Zügen. Hast du einmal davon gekostet, wirst du zeit deines Lebens davon zehren.«
»Wie kommst du dazu, mit mir über solche …«, wollte Agnes widersprechen.
»Ach, meine Kleine.« Schmunzelnd legte Griet ihr die Hand auf den Arm. »Ich mag zwar nur eine einfache Magd sein, eine liebende Frau bin ich dennoch. Und ein Herz habe ich auch. Pass nur auf, dass dir der alte Kollmann nicht dazwischenspuckt. Deine Mutter und er sind wohl ernsthaft entschlossen …«
»Woher weißt du davon schon wieder? Was hat meine Mutter erzählt?« Eine eisige Faust umklammerte ihr Herz. Wie hatte sie so leichtsinnig sein und über all der Freude, Laurenz endlich in den Armen zu liegen, die eigentliche Gefahr vergessen können? Die Schanzen um die Stadt waren fertiggestellt. Jeden Tag konnte Reuß von Plauen mit seinen Mannen am Horizont auftauchen. Längst hatte Kollmann sein neues Haus in Wehlau bezogen und das ungesicherte Anwesen in Bürgersdorf einem Verwalter überlassen. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis er im Silbernen Hirschen aufkreuzte und tatsächlich darauf drängte, sie zu heiraten.
»Von wegen heiraten! Solange ich lebe, wird Kollmann nichts dergleichen tun.« Wie aus dem Nichts tauchte Großmutter Lore neben der Feuerstelle auf. »Vertrau mir, Liebes, ich weiß, was ich sage. Gunda ist meine Tochter. Wir haben unser gesamtes Leben miteinander verbracht, Freud und Leid geteilt. Ich werde nicht zulassen, dass sie eine solche Dummheit begeht und dich diesem Kollmann überlässt. Er mag ein anständiger Mensch sein und die besten Absichten hegen. Das aber ist auch schon alles. Zum Heiraten jedoch gehört mehr. Wer, wenn nicht deine alte Großmutter sollte das wissen?«
Sie lächelte verschmitzt. Agnes und Griet wechselten vielsagende Blicke. Lores unerschütterliche Liebe zu ihrem früh verstorbenen Gemahl verdiente grenzenlose Bewunderung.
»Geh nur rasch wieder zur Georgskapelle. Ich glaube, da wartet jemand auf dich.« Zu ihrer Verblüffung hauchte Lore ihr einen Kuss auf die Wange und schob sie entschlossen zur Tür.
»Danke«, murmelte Agnes und umarmte sie, bevor sie davoneilte.
Aus Angst vor dem Auftauchen der Kreuzherren wagten sich nur noch wenige vor die Stadt. Gelangweilt lehnten die beiden Torwachen an der Mauer. Als sie Agnes erspähten, hellten sich ihre Mienen auf, und sie wollten sie in ein Gespräch verwickeln. Sie winkte jedoch ab. »Tut mir leid, ich muss rasch weiter.«
»So wie jeden Tag«, erwiderte der Größere der beiden beleidigt. Sein Kumpan stieß ihn in
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