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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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gewordener böhmischer Söldner standhalten zu müssen. Die Mauern im Norden dagegen stehen seit Menschengedenken. Die haben bislang noch jedem Angriff wacker widerstanden.«
    »Es ehrt mich, wie sehr Ihr am Ende doch uns Fremden vertraut und nicht Euresgleichen.« Laurenz verbeugte sich galant. Agnes sah aus ihrem Versteck zwar nicht sein Gesicht, konnte sich jedoch vorstellen, wie belustigt es in seinen Augen aufblitzte. »Wenn Ihr wollt, sehe ich mir gleich morgen Euer Anwesen an, und wir besprechen, wie Ihr es erweitern wollt. Mir scheint, ich bleibe noch ein wenig länger hier.«
    Mit Handschlag verabschiedeten sich die beiden Männer voneinander. Agnes harrte in ihrem Versteck aus, um zu sehen, welche Richtung Laurenz einschlagen würde. Zum Glück tat Haude ihr den Gefallen und verzichtete darauf, ihn in die Stadt zu begleiten. Eiligen Schrittes wandte sich der dickleibige Böttchermeister westwärts, um Wehlau durch das Alletor zu betreten. Gewiss wollte er ihren Vorschlag aufgreifen und rechtzeitig zum Anstich im Silbernen Hirschen eintreffen. Laurenz dagegen schlug die östliche Richtung ein. Sie zwang sich, so gelassen wie möglich hinter dem Holzstapel hinauszutreten.
    »Dachte ich es mir doch«, entfuhr es Laurenz, sobald er auf ihrer Höhe war. »Mir war gleich, dass Ihr hinter diesem Stapel noch etwas Wichtiges zu erledigen hattet. Warum sonst habt Ihr dem guten Haude erzählt, noch einen Botengang machen zu müssen.«
    Er blieb vor ihr stehen. Die feuerrot in seinem Rücken untergehende Sonne blendete Agnes. Schützend hob sie die flache Hand vor die Augen. Laurenz’ Gesicht lag im Schatten. Sosehr sie sich bemühte, konnte sie nicht viel darauf erkennen. Als er dessen gewahr wurde, trat er lächelnd zur Seite. Damit traf ihn das milde Abendlicht von der Seite, zeichnete die markanten Züge seines Antlitzes weich nach. Er erschien ihr noch begehrenswerter als ehedem. In seinen verschiedenfarbigen Augen schimmerte ein seltsamer Ausdruck. Zunächst meinte sie, freudige Erwartung darin zu erkennen, dann schien ihr auch etwas Vorwurfsvolles mitzuschwingen.
    »Sosehr Ihr auch sucht, meine Liebe, einen grauen Vogel mit einer roten Feder werdet Ihr hier hinter dem Holzstapel nicht finden. Das kostbare Tier ist längst wieder bei seinem alten Besitzer und sehnt sich vergeblich danach, jemanden mit seinem Zutrauen zu beglücken.«
    Der Ton seiner Stimme schwankte zwischen Leichtigkeit und Bitterkeit.
    »Ihr haltet mit Eurem Tadel nicht lange hinter dem Berg. Es tut mir leid für den Vogel. Es ist ein sehr schönes Tier. Jemand anderer wird sich seiner erbarmen und ihm ein treuer Gefährte sein.«
    »Hoffen wir es für ihn.« Laurenz zog die Augenbraue nach oben und strich mit der rechten Hand durch seinen Bart. Der Anblick der beiden steifen Finger rührte sie.
    »Mit teuren Geschenken allein ist es nicht getan. Das wisst Ihr genau«, fügte sie trotzig hinzu. »Das Vergessen lässt sich nicht erzwingen. Zu vieles habt Ihr aus der Vergangenheit heraufbeschworen, und zu schnell habt Ihr Euch dann davongemacht, ohne mir die richtigen Antworten zu geben.«
    »Ihr habt mir keine Wahl gelassen. Mir war, als wäre jedes Wort zu viel, riefe nur neues Unheil hervor und sorgte für weitere Missverständnisse und Verletzungen. Die Berichte Eurer Großmutter über Euer Fieber klangen besorgniserregend. Deshalb wollte ich Euch ein deutliches Zeichen schicken, wie wichtig Ihr mir seid und wie viel ich an Euch denke. Das aber war wohl genau das Falsche.«
    »Vielleicht hättet Ihr selbst kommen und Euch erklären sollen.«
    »Vielleicht.«
    Stille breitete sich über das Land. Längst waren sie die Einzigen, die sich außerhalb der Stadttore auf den hügeligen Wiesen aufhielten. Golden glänzten die Mauern Wehlaus im letzten Abendlicht, stolz überragt von den Türmen des Rathauses und der Jakobikirche. Verlassen lagen die halbfertigen Schanzen auf den Feldern. Der Boden ringsum atmete die Kühle der frisch aufgeworfenen, feuchten Erde aus. Nichts deutete auf die bevorstehende Gefahr, deretwegen die Wälle errichtet wurden. Leise setzte das Zirpen der Grillen ein, Vögel tschilpten sehnsüchtig. In der Ferne erklangen einzelne Rufe von den Fischern, die die Alle heraufzogen. Das Licht der im Westen versinkenden Sonne wanderte weiter, zauberte neue Schatten auf Laurenz’ Gesicht. Der schwarze Bart schimmerte, die hellen Zähne blitzten auf.
    Auf einmal hielt es Agnes nicht mehr länger auf ihrem Platz. Was vergeudeten sie

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