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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Planet war plötzlich voller gut aussehender, oberflächlicher junger Typen, die nur aus sich neutralisierenden Gegensätzen bestanden und mit denen kein richtiger Mann ein Bier hätte trinken wollen. Die Angehörigen dieser neuen Spezies trugen teure Schuhe und altmodische Bärte. Sie spielten in einer Band und arbeiteten trotzdem im Büro. Sie hassten die Reichen, kauften aber Lottoscheine, lachten über Komödien, in denen ein beschissenes Leben bloßgestellt wurde, das ganz genauso aussah wie ihr eigenes, und tratschten über alles und jeden. Was immer sie taten – ob sie ein Handy auspackten oder mit einer Sportlerin schliefen –, mussten sie zwanghaft online stellen, um zu sehen, was andere darüber dachten. Ihr Leben war wie ein jaulendes Vakuum, das Aufmerksamkeit aufsaugte. Er glaubte nicht, dass Zoe bei dieser neuen Spezies Mann Liebe finden konnte.
    Tom fluchte vor sich hin und verdrängte diesen Gedanken. Die Agentin hatte recht: Er war ein alter Mann. Außerdem dachte er vermutlich zu viel über Zoe nach.
    Eigentlich durfte er keinen Liebling haben, und im Grunde hatte er das auch nicht. Kate war als Fahrerin ein Naturtalent, was Zoe durch pure Entschlossenheit ausglich. Tom mochte beide gleich gern.
    Er schaute auf die Uhr – noch vierzig Minuten, bis Zoe kam. Er trug eine Casio, die genau eine Sache konnte: die verdammte Zeit anzeigen. Auch das war ein Unterschied zwischen ihm und den heutigen Typen. Die trugen solche James-Bond-Uhren mit separatem Chronometer, wasserdicht bis tausend Meter. Was zum Teufel sollte das? Glaubten die, man würde sie aus den Läden werfen, in denen sie arbeiteten, und im Marianen-Graben versenken, aus dem sie sich nur befreien konnten, weil ihre Uhr Sekundenbruchteile anzeigte? Diese Typen würden einen Sekundenbruchteil nicht mal erkennen, wenn er aufsprang und ihnen eine olympische Goldmedaille verwehrte. Sie hatten keine Ahnung, was in einem Sekundenbruchteil gewonnen und verloren werden konnte. Zeit war reine Verschwendung bei dieser neuen Spezies Mann, die eine ganze Nacht mit einer Frau verbringen und diesen Umstand dann in weniger als einer Minute hochladen konnten.
    Er seufzte. Er wusste, es war nicht fair. Was auch immer mit Zoe nicht stimmte, es lag nicht nur an diesem letzten Mann. Jenseits der Rennbahn hatte sie nie viel Urteilsvermögen bewiesen. Zum Beispiel die neue Wohnung. Einmal Glück mit einem Werbevertrag – die Perrier-Anzeigen, die sie wegen ihres Aussehens bekommen hatte –, und schon hatte sie sich eine Hypothek aufgehalst, die keine Karriere im Bahnradfahren jemals abzahlen konnte. Als ihr Trainer hätte er sie eigentlich auf den Boden der Tatsachen zurückholen müssen, dorthin, wo Sportler um des Ruhmes willen nach Gold strebten. Ehrlich gesagt, widerte es ihn an, dass die Agentin ihr derart den Kopf verdreht hatte. Aber er wusste ja, wie das war. Wenn man allein lebte, verlor man die Bodenhaftung. Man hatte niemanden, der einem sagte: Kumpel, das ist völliger Blödsinn, was du da vorhast.
    Er versuchte seine Knie anzuwinkeln, eine Vorbereitung zum Aufstehen und Abtrocknen, ohne Erfolg. Er massierte die Kniegelenke, um die Bänder zu lockern, wobei er leise vor sich hin fluchte. Frustriert hieb er seine Fäuste in die Kniekehlen. Schmerz flammte auf. Seine Knie versagten ihm einfach den Dienst. Sie verspotteten ihn, waren taub und stumm.
    Das Badewasser war abgekühlt. Er hob ein steifes, durchgestrecktes Bein und tastete mit dem großen Zeh nach dem Warmwasserhahn. Der Zeh tastete sich an der Kette des Stöpsels hoch, und jedes winzige, verchromte Glied markierte eine Dreißigstelsekunde. Er schaffte es, den Hahn zu drehen, aber es gab kein heißes Wasser mehr. Er merkte, wie ihm kalt wurde. »Keine vorzeitige Leichenstarre«, warnte er seinen Körper. »So alt bin ich noch nicht.«
    Je länger er hier festsaß, desto schlimmer wurde es. Einen Herzschlag zuvor, als er zweiundzwanzig gewesen war, hatte er die australische Meisterschaft im Verfolgungsfahren gewonnen und war Zweiter im Sprint geworden. Und dann, ihm klang noch die Nationalhymne in den Ohren, hatte er zwei Silbermedaillen bei den Commonwealth-Spielen gewonnen. In den vier Jahrzehnten danach hatte er tatsächlich jedes noch so kleine Fortschreiten der Zeit registriert, und doch überraschte es ihn, plötzlich alt und verkrüppelt zu sein. Dem Seil war es letztlich egal, ob man auf dem Weg zum Galgen jedes Gänseblümchen wahrgenommen hatte.
    Er würde versuchen, sich aus der

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