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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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gewachsen war, legten die anderen wieder in die weichen Körbe und stellten sie zurück unter Lilacs Bett.
    Alle vier Tage wiederholten wir das, was Lilac »den dritten Blick« und »den vierten Blick« nannte. Wenn schließlich der Schatten deutlich zu sehen war, betteten wir die Eier aus den Körben in Keramiktöpfe um, die mit Erde und Stroh ausgelegt waren. Sie sahen aus wie heiße Höhlen. Um die Töpfe warm zu halten, wurde unter ihnen ein kleines Feuer entfacht. Laut Lilac war das die kritischste Phase: War es zu heiß, würden die Eier kochen, war es zu kalt, würden die Perlen sich nicht in Küken verwandeln.
    In ein paar Tagen sollte sich herausstellen, ob es für Lilac ein gutes oder ein schlechtes Jahr würde. Um das Wohlwollen der Götter zu erbitten, verbrannte sie Räucherstäbchen, hielt Zeremonien ab und hängte Bilder von allen ihren Göttern an die Wände. Dieses Jahr war auch Jesus Christus darunter.
    Ich hätte gern einen Blick in die Töpfe geworfen, doch Pearl weigerte sich, dabei mitzumachen. Sie folgte getreu den Anweisungen Lilacs. Diese ließ ihre Eier jetzt nicht mehr aus den Augen, bewachte die Töpfe wie eine Henne Tag und Nacht und sorgte dafür, dass sie immer die richtige Temperatur hatten. Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, aus Angst, die Eier zu stören.
     
    Ich beobachtete, wie Pearl Lilac malte, die mit offenem Mund schlief. Bevor Lilac von der Müdigkeit übermannt worden war, hatte sie gesagt, dass sie gutes Geld mit dem Ausbrüten von Eiern machen würde. In den letzten beiden Wochen war sie ganz dünn geworden. Sie aß und schlief nicht mehr, aus Angst, die Temperatur des Feuers unter den Töpfen würde schwanken und ihre Ernte zerstören. Ihre Augen waren rot unterlaufen und ihre Wangen eingefallen. Weil sie auch reizbar und nervös war, gingen Pearl und ich ihr aus dem Weg.
    Als Lilac das Feuer ausmachte, wussten wir, dass der Winter vorbei war. In nur wenigen Tagen hatte sich die Luft erwärmt. Doch mit dem Frühling ging auch eine extreme Feuchtigkeit einher.
    Lilac, Pearl und ich nahmen die Eier aus den großen Keramiktöpfen, damit sie Luft bekamen, und legten sie auf Lilacs gemauertes und mit Baumwolle gepolstertes Bett. Pearl und ich wurden losgeschickt, die Bauern zu benachrichtigen, dass sie kommen und ihre Küken abholen konnten.
    Aufgeregt sahen wir zu, wie die kleinen Schnäbel zum Vorschein kamen und die jungen Küken sich aus den Eierschalen herauspickten und ins Freie kamen. Als sie schließlich alle geschlüpft waren, sagte Pearl, es sei eine große Geburtstagsparty.
    »Wie schön sie sind!«, rief sie begeistert und ließ die Küken über ihre Hand spazieren.
    Lilac war zu müde zum Feiern. Während Pearl und ich die Küken zählten und in Körbe setzten, die abgeholt würden, lehnte sie schnarchend an der Wand. Im Schlaf schrie und lachte sie, das Gesicht strahlend vor Freude. Als sie kurz aufwachte, rief sie: »Was im Sommer getan werden soll, tut man nicht im Frühjahr. Habe ich nicht recht?«
    »Du hast vollkommen recht, Lilac!«, erwiderten Pearl und ich und halfen ihr ins Bett, wo sie tagelang schlief.

4 . Kapitel
    E
s war Anfang September, und heiße, süße Luft füllte meine Lungen. Pearl und ich liefen die Hügel hinunter, vorbei an Kindern, die mit feuchter Erde und Regenwürmern spielten, und dem ältesten Mann der Stadt, der im Schatten eines Baumes schlief. Ich war ganz aufgekratzt, denn Pearl hatte mich zum ersten Mal zu sich nach Hause eingeladen.
    »Meine Mutter weiß nicht, dass ich dich mitbringe«, sagte sie aufgeregt.
    »Wird sie … was dagegen haben?« Mir war plötzlich ganz komisch. »Immerhin habe ich gelogen.«
    »Ach, das hat sie längst vergessen.«
    »Wirklich?«
    »Mutter sagt, manchmal sind die Menschen nicht verantwortlich für das, was sie tun, weil sie Gott nicht kennen.«
    Ich blieb stehen. »Und wenn sie sich doch erinnert? Wenn sie sagt, sie will keine Lügnerin zu Besuch?«
    »Ach, sie kennt dich, du hast ihr immer gefallen.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weide, es war klar, dass meine Mutter dich mag.«
    »Warum?«
    »Weil du singen kannst.«
    Ich sah sie an.
    »Weide, meine Mutter versucht seit langem, einen Kinderchor zusammenzubekommen, aber sie findet nur Kinder, die nicht singen können oder es nicht wollen.«
    »Sie weiß, dass ich singen will, aber nicht, ob ich es gut genug kann«, sagte ich.
    »Das kannst du.«
    »Aber ich kann die hohen Töne nicht halten. Meine Stimme bricht.«
    »Mutter wird

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