Goldener Bambus
zu.«
Absalom nutzte die Chance. »Heute will ich euch von der Taufe Christi erzählen.« Er zog eine farbige Zeichnung hervor. »Die beiden Männer hier sind Jesus Christus und Johannes.«
Ich sah zwei Gestalten, die in einem Fluss eine Zeremonie abhielten. Sie hatten ziemlich kleine Nasen und leicht schräge Augen und somit fast orientalische Gesichtszüge. Absalom hatte schließlich doch Papas Rat angenommen und das westliche Aussehen der beiden – tiefliegende Augen und spitze Nasen – dem östlichen angeglichen. Christus hatte sogar längere Ohrläppchen, wie Buddha.
Von Papa wusste ich, dass Absalom seinen Christus ursprünglich mit Vollbart präsentieren wollte. Erst nachdem Papa ihn davon überzeugt hatte, dass kein Chinese einen Gott anbeten würde, der wie ein Affe aussah, stutzte er ihm den Bart.
»Buddhas Gesicht hat sich auf der Reise von Indien nach China verändert«, erklärte Papa und wies Absalom auf den Unterschied zwischen dem früheren indischen Buddha und dem späteren chinesischen Buddha hin. Bei seiner Ankunft in China waren Buddhas Augen schmaler und seine Haut war heller und weicher geworden. Die chinesischen Bildhauer hatten dafür gesorgt, dass Buddha gut genährt aussah. Seine halb geschlossenen Augen vermittelten den Eindruck, als wollte er nach einem befriedigenden Mahl ein Schläfchen halten.
Papas Taufe war für die ganze Stadt ein großes Ereignis. Alle wollten dabei sein, wenn Absalom ihn in den Fluss tauchte wie eine Teigtasche in Sojasoße. Es war das erste Mal, dass Pearl und ich nebeneinandersaßen. Beide hatten wir versucht, unseren Vätern zu einer größeren Zuhörerschaft zu verhelfen.
Absalom und Papa standen sich im Fluss gegenüber, bis zur Taille im Wasser. Absalom trug eine dunkelgraue Robe, Papa sein frisch gewaschenes weißes Baumwollgewand. Papa hatte ein rotes Gesicht und wirkte nervös, Absalom sah ernst und feierlich aus.
»Mit dem Eintauchen ins Wasser gesteht man seine Schuld und bittet um Vergebung«, erklärte Absalom auf Chinesisch mit starkem Akzent.
Papa sprach Absaloms Worte mit lauter Stimme nach.
»Mach einen neuen Anfang!«, rief Absalom. »Lass dich am Kreuz zum Licht führen!«
Papa versuchte, still zu stehen, doch er konnte es nicht. »Wann soll ich Luft holen?«, fragte er.
Absalom ignorierte ihn. »Jesus sagt: ›Nimm mich und wirf mich ins Meer‹«, sang er.
»Sagen Sie mir wann«, forderte Papa wieder.
»Warte.« Absalom hielt ihn.
»Ich habe Angst zu ertrinken«, sagte Papa. »Wirklich.«
»Vertraue in Gott.«
Absalom drückte Papa vorsichtig mit dem Oberkörper zurück, bis sein Kopf unter Wasser war.
Die Zuschauer hielten den Atem an.
»Jesus Christus ist die Gerechtigkeit!«, rief Absalom aus.
Die Zuschauer jubelten.
Papa tauchte aus dem Wasser auf. Er war wie versteinert und sank sofort wieder hinein.
»Papa, was machst du?«, schrie ich.
»Er akzeptiert Christus’ Tod«, sagte Pearl ruhig.
»Wofür ist er gestorben?«
»Für seine Sünden und die Sünden der Menschheit.«
Papa tauchte wieder aus dem Fluss auf und spuckte Wasser wie eine Fontäne. Er war nicht ertrunken. Ich atmete erleichtert auf. Inmitten der Zuschauer erblickte ich NaiNai, die gerade ihre Tränen abwischte. Am Vorabend hatte sie uns gesagt, ihr gefalle die Vorstellung, dass ihr Sohn gereinigt würde.
»Gott verkündet, ›Dies ist mein geliebter Sohn!‹«, rief Absalom. »›Das ist die Vorwegnahme seines Todes am Kreuz und seine Wiederauferstehung!‹«
Von Absalom geführt, entstieg Papa dem Fluss.
»Ich spüre Gott und Seinen Willen!«, sagte Papa den Zuschauern. »Jesus hat mich dazu gebracht, einen Strich unter mein verfehltes Leben zu ziehen. Ich beginne ein neues!«
Ich war sicher, dass Papa das für Absalom tat, als Dank.
Wie von Papas Verwandlung ergriffen, streckte Absalom die Arme gen Himmel. »Lobet den Herrn!«
Von nun an standen Papa und Absalom jeden Sonntag nebeneinander vorn in der Kirche, wie bei einem Duett. Papas neues Glück, von dem fremden Gott gesegnet worden zu sein, hatte die Leute neugierig gemacht. Sie kamen, um den gleichen Schutz zu erwerben.
Papa leistete hervorragende Arbeit für Absalom.
»Wir leben in einer Unterwelt voller Dämonen«, begann er mit der gleichen Begeisterung, mit der er chinesische Gedichte rezitierte. »Vom Schicksal zum Untergang verurteilt, sind wir im Unheil gefangen und von bösen Geistern verzaubert. Wir – die Tagelöhner, Verlierer, Spieler, Trinker und Diebe, die
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