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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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mein Schicksal zu akzeptieren.« Pearl und ich saßen Hand in Hand oben auf dem Hügel und betrachteten schweigend den Sonnenuntergang.
    Mir war, als lebte ich einen schlechten Traum. Ich stellte mir Pearls amerikanisches Haus vor, das ihr Großvater gebaut hatte. Sie beschrieb es mir Wort für Wort so, wie ihre Mutter es ihr beschrieben hatte. »Es ist groß und weiß, hat einen doppelten Säulenportikus und steht mitten in einer schönen Landschaft«, erzählte sie mir. »Hinter dem Haus gibt es saftige grüne Ebenen und viele Berge.«
    Ich stellte mir auch Pearls Verwandte vor, alle mit milchweißem Gesicht, wie sie sie herzlich willkommen hießen, sie umarmten, als würden sie sie kennen, und sagten: »Wie geht es dir, mein Schatz? Es ist so lange her …« Pearl würde in sauberen Laken und auf weichen Kissen schlafen. Sie würde viel zu essen haben, aber nicht das, was sie mochte. Es würde natürlich keine chinesische Kost geben, keine chinesischen Gesichter um sie herum, kein Mandarin. Sie würde keine chinesischen Geschichten mehr hören und keine Pekingopern. Kein
Jasmine, Sweet Jasmine
.
    »Vermutlich gewöhne ich mich daran.« Pearl stieß einen langen Seufzer aus.
    Sie würde gezwungen sein sich anzupassen, hatte gar keine andere Möglichkeit. Sie würde China und mich vergessen.
     
    »Vielleicht erkennen wir uns nicht wieder, wenn wir uns das nächste Mal sehen«, witzelte Pearl.
    Das war nicht lustig, aber ich spielte mit. »Wahrscheinlich erinnern wir uns nicht mal mehr an unsere Namen.«
    »Vielleicht vergesse ich mein Chinesisch.«
    »Bestimmt.«
    »Vielleicht auch nicht«, sagte sie. »Ich werde alles versuchen, es nicht zu vergessen.«
    »Vielleicht willst du das aber. Wozu brauchst du Chinesisch in Amerika? Mit wem willst du chinesisch sprechen? Grace? Sie ist zu jung. Ihr spielt nicht miteinander. Aber vielleicht macht ihr das ja in Amerika. Es wird dir nichts anderes übrig bleiben.«
    Sie wandte mir den Kopf zu und starrte mich an. Ihre großen blauen Augen füllten sich mit Tränen.
    »Du wirst Milch trinken und Käse essen«, sagte ich, um sie aufzumuntern.
    »Und mich in eine dicke fette Bäuerin verwandeln«, erwiderte sie. »Mit einem Bauch wie eine chinesische Wintermelone und Brüsten wie runde Kürbisse.«
    Wir lachten.
    »Dann bin ich wahrscheinlich längst verheiratet«, sagte ich. »NaiNai ist schon von Kupplern angesprochen worden. Vielleicht heirate ich einen alten, schmierigen reichen Mann und werde seine Konkubine. Womöglich ist er ein Scheusal und schlägt mich jede Nacht.«
    »Das wäre ja furchtbar.« Sie sah mich ernst an.
    »Furchtbar? Dir wär das doch egal. Du bist dann ja nicht mehr da.«
    »Ich bete für dich, Weide«, sagte Pearl. Sie wollte mich in den Arm nehmen, doch ich stieß sie weg. »Du weißt, dass ich mit deinem Gott Probleme habe. Du hast mir noch nicht bewiesen, dass er existiert.«
    »Dann tu einfach so, als würde er existieren!« Tränen liefen über Pearls Wangen. »Ich will, dass du an ihn glaubst.«
    Wir beschlossen, nicht mehr über die Abreise zu reden und die verbliebene gemeinsame Zeit zu feiern, anstatt mit Traurigkeit zu verplempern. Als eine fahrende Truppe mit der »großen Schau der Schattenkunst« in die Stadt kam, sahen wir uns »Der trunkene Affenkönig« und »Die Generalinnen der Familie Yang« an. Die Aufführungen gefielen uns sehr. Pearl war vom Schattenspiel der handgemachten Figuren aus geschabter und polierter Rinderhaut begeistert. Der Meister der Truppe stammte aus Mittelchina. Er lud Pearl und mich ein, einen Blick hinter die Bühne zu werfen, und zeigte uns, wie alles funktionierte. Die Schauspieler verbargen sich unter einem großen Vorhang und hatten jeweils eine Figur an vier Bambusstöcken in beiden Händen. Die Figuren konnten die Füße bewegen, zu einer Melodie tanzen und eine Kampfkunst-Schlacht vorführen, wobei der Besitzer mit hoher Stimme unsere Lieblings-Wan-Wan-Lieder sang.
     
    Anfang Herbst gewann ein Kinderspiel große Popularität. Es hieß »Boxer und Ausländer« und folgte den Regeln des traditionellen Versteckspiels. Weil wir Mädchen waren, erlaubten uns die Jungen nicht mitzuspielen. Pearl und ich saßen den ganzen Tag oben auf dem Hügel, lutschten an Seidenpflanzen und sahen ihnen neidisch zu. Eines Morgens kam Pearl in westlicher Kleidung zu mir. Der englische Botschafter hatte ihr eine kamelhaarfarbene Jacke mit Halsausschnitt, Kupferknöpfen und Ärmeln, die am Ellbogen weit und am Handgelenk eng

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