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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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übers Gesicht.
    Die Wellen glätteten sich, und das Wasser war wieder ruhig.
    Ich stand am Pier und musste an ein Gedicht aus der Tang-Dynastie denken, das Pearl oft rezitiert hatte:
    Meine Freundin verließ das Haus des Kranichs gen Süden, wo die Fische beißen
    Wie Dunst driftet Weide hinweg, Blütenblätter zerstieben in alle Winde
    Ihr Boot verschwindet, wo die Wellen auf den großen Fluss treffen
    Der helle Mond steht am Himmelsgewölbe
    Wildgänse ziehen vorüber an Bergen und uralten Pavillons
    Hat der süße rote Sorghum Wein dich zum Lächeln gebracht
    Trage die blühenden Chrysanthemen aus meinem Haar
    Zieh die Bambusgardinen vors Fenster und träume in der Nacht

2 . Teil
    9 . Kapitel
    A
m Tag meiner Verlobung war ich vierzehn Jahre alt. An der Entscheidung wurde ich nicht beteiligt. Die Kupplerin der Stadt hatte Papa erklärt: »Es gibt nur eine Medizin, die Ihre Mutter wieder gesund macht, und das ist die Nachricht von Weides Heirat.«
    Ich wollte unbedingt mit Pearl sprechen, doch unsere Lebenswege hatten sich getrennt. Pearl besuchte eine Missionsschule in Shanghai. Ihre Welt hatte mit meiner nichts mehr zu tun.
    »Shanghai ist wie ein fremdes Land«, schrieb sie. »Internationale Streitkräfte sorgen für die Aufrechterhaltung des Friedens. Mein Vater wartet darauf, dass in den ländlichen Gegenden wieder Ruhe einkehrt und er nach Chinkiang zurückkehren kann. Zur Zeit übersetzt er das Neue Testament. Nachts liest er laut den griechischen Originaltext und die paulinische Theologie. Zudem singt er chinesische Idiome. Mutter ist erkrankt. Ihr fehlt der Garten in Chinkiang.«
    Ich schrieb zwar zurück, schämte mich aber, meiner Freundin von der bevorstehenden Hochzeit mit einem Mann zu erzählen, der doppelt so alt war wie ich. Ich war hilflos und der Verzweiflung nahe. Pearls Briefe zeigten mir, dass es noch andere Möglichkeiten im Leben gab, aber dafür musste ich weg von hier. Erst jetzt begriff ich, warum ich
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liebte: Die Oper inspirierte mich zu Fluchtphantasien. In meinen Tagträumen flüchtete ich aus meinem Leben in das einer Heldin.
    Mit jedem Stück Mitgift meines zukünftigen Ehemannes, das eintraf, ging es mir schlechter. Weder Papa noch NaiNai kam es in den Sinn, dass ich etwas Besseres verdiente. Als ich bettelte, die Schule in Shanghai besuchen zu dürfen, wurde Papa wütend, und NaiNai sagte: »Je mehr ein Kleinstadtmädchen mit der Welt da draußen liebäugelt, desto schlimmer wird sein Schicksal sein.«
     
    Ich hatte Pearl geschrieben, dass ihr Haus niedergebrannt worden war, als die Boxer in die Stadt einfielen. Um die Kirche zu retten, hatte Papa die Jesusstatue durch einen sitzenden Buddha ersetzt und den Boxern erzählt, er wäre Buddhist und die Kirche sein Tempel. Damit sie seine Lüge glaubten, kleidete er sich wie ein Mönch. Als die Boxer die Häuser inspizierten, sangen die Konvertiten buddhistische Sutras, was ihnen leichtfiel, da sie früher alle Buddhisten gewesen waren.
    Papa flehte Kaiser Kohlkopf an, ihm beim Beschützen der Kirche zu helfen. »Der fremde Gott wird sich erkenntlich zeigen«, versprach er. »Er verschafft Ihnen einen Platz im Himmel, wo Sie bei einem großen Festessen mit all Ihren toten Familienmitgliedern wiedervereinigt werden.«
    Doch Papas Täuschungsmanöver wurden entlarvt. Die Boxer fanden heraus, dass die »Mönche« christliche Konvertiten waren, und metzelten sie nieder. Ein Mitglied der Operntruppe Wan-Wan wurde mitten in einer Opernaufführung von der Bühne gezerrt und vor Papas Augen getötet.
    Auch Zimmermann Chan und Lilac standen auf der Liste von Leuten, die geköpft werden sollten. Sie entkamen nur knapp.
    Schließlich beschloss auch Papa, aus der Stadt zu fliehen. Doch am Morgen des chinesischen Neujahrs erwischten sie ihn. Er sollte auf dem Marktplatz öffentlich hingerichtet werden.
    Papa flehte die Boxer an, ihn leben zu lassen. Er gab zu, ein Dummkopf zu sein.
    Die Boxer lachten und sagten, sie müssten den Menschen zeigen, dass das mit dem christlichen Gott ein Schwindel ist. »Wenn es deinen Gott wirklich gibt, dann ruf ihn an. Wir werden dich nämlich hängen!«
    Papa sank auf die Knie und rief: »Absalom!«
    Papa glaubte zwar nicht an Gott, aber er glaubte an Absalom. Als plötzlich eine Stimme ertönte, staunten alle. Die Stimme kam vom Flussufer, wo gerade eine große Gestalt aus einem Boot sprang. Es war Absalom! Ein Stück Papier über dem Kopf wedelnd, kam er angelaufen. Hinter ihm waren Kaiser

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