Goldener Bambus
wie sein Leben aussah.
General Chu gab mir ein zusammengeknülltes Stück Papier, das mit winzigen Buchstaben beschrieben war.
Liebe Weide,
dieser Brief gibt mir Gelegenheit, alles zu erklären, worüber ich sehr froh bin.
Ich schreibe aus dem Südwest-Arbeitslager nahe Tibet. Du fragst Dich vielleicht, was ich getan habe, um Mao zu kränken. Wieder einmal hat es mit Pearl Buck zu tun, aber in Wirklichkeit ist mein eigener Ehrgeiz schuld.
Am Abend des 30 . Mai 1969 rief Mao mich zu sich. Madame Mao war auch da und ungewöhnlich freundlich zu mir. Mao schien sich nicht bewusst zu sein, dass es schon sehr spät war. Er trug einen weißen Bademantel, seine Haare waren nass, und er war barfuß.
Nachdem ich Platz genommen hatte, sagte er nur: »Pearl Buck will nach China kommen. Premierminister Chou En-lai meint, wir sollten eine Ausnahme machen und ihr die Tür öffnen. Was denkst du?«
Aus dem Augenwinkel sah ich den starren Gesichtsausdruck von Madame Mao. Nur ein kleines Lächeln zuckte um ihren Mund.
In Anbetracht meiner persönlichen Geschichte mit Pearl Buck wunderte ich mich über Maos Dreistigkeit. Hatte er vergessen, dass Du – meine Frau – Dich geweigert hattest, Deine Freundin zu denunzieren, und dafür ins Gefängnis kamst? Aber ich wusste auch, dass Maos Wunsch nach internationaler Anerkennung über die Jahre gewachsen war. Obwohl er zu Hause große Macht hatte, war sein Ruf im Ausland nicht besser geworden. Er würde alles tun, um sein Ansehen im Ausland zu vergrößern. Ich sah sofort, dass er bereit war, die Geschichte umzuschreiben, wenn es ihm nutzte. Was seine Frau betraf, war ich nicht so sicher.
Ich saß schwitzend auf dem Stuhl, als Mao mir nahelegte, meine Beziehung zu Pearl Buck aufzufrischen. Ich sollte sie dazu bewegen, ihre Ansichten über China zu ändern. »Sag ihr, dass wir inzwischen ein Viertel der Weltbevölkerung regieren«, trug er mir auf.
Aus einem Bericht seines Geheimdienstes wusste Mao, dass Pearl Buck Beraterin von John Kennedy gewesen war und somit seine Brücke zu Amerika sein könnte.
Zurückblickend weiß ich, dass mein Schicksal in dem Moment besiegelt war. Madame Mao war eifersüchtig auf jedes weibliche Wesen, das Maos Interesse weckte, und hatte diese Frauen heimlich verhaften, foltern und ermorden lassen, um Maos Zuneigung zurückzugewinnen.
Leider ließ ich zu, dass mein eigener Ehrgeiz mich blind machte. Mao und Pearl Buck zusammenzubringen würde meiner Karriere förderlich sein. Ich wollte in die Geschichte eingehen und spielte mit dem Feuer. Der Wind stand günstig, dachte ich, und es wäre dumm, ihn nicht auszunutzen. So beschloss ich, Chou En-lais Haltung zu übernehmen.
Sorgfältig übersetzte ich Pearls neuere Artikel über China, wobei ich alle negativen Bemerkungen wegließ. Noch bevor ich die Sachen an Mao übergeben konnte, änderte der Wind seine Richtung. Madame Mao war schneller gewesen.
Als Beweise gegen Pearl legte sie Mao Auszüge aus Pearls neuem Roman Die Töchter der Madame Liang vor, in dem sinnlose Morde während der Kulturrevolution beschrieben wurden, als wäre sie selbst dabei gewesen. Erstaunlicherweise entsprach die Geschichte der Wahrheit.
Von dem Moment an verlor Mao das Interesse an Pearl Buck. Doch Madame Mao war noch nicht fertig mit mir. Sie sah in Pearl Buck eine persönliche Bedrohung und war entschlossen, jeden zu bestrafen, der eine Verbindung zu ihr hatte. Mit der Beschuldigung, ich hätte Mao täuschen wollen, ließ sie mich verhaften.
Ich erwartete, dass Mao mich schützte, hatte mich aber getäuscht.
General Chu habe ich im Gefängnis wiedergetroffen. Welche Laune des Schicksals! Ich fühlte mich schuldig, weil Mao sein Versprechen – die von mir ausgehandelten Bedingungen – nie eingelöst hatte. Nach Chus Kapitulation war der General für Mao nutzlos geworden, und er ließ ihn fallen. Zwar erhielt er den Titel eines Kommandierenden Generals der Volksbefreiungsarmee, doch nur auf dem Papier. Am Ende hatte Chu alles verloren, seine Armee und seine Freiheit. Ich hatte das Gefühl, ihn im Stich gelassen zu haben, und empfand es beinahe als Trost, den Rest meines Lebens im Gefängnis zu sitzen, weil es mich von Mao trennte.
Das Wetter in Tibet ist rau und die Luft dünn. Wir leben wie Ungeziefer in unterirdischen Höhlen, die wir selbst ausheben – wir schaufeln sozusagen unser eigenes Grab. Aber die Toten werden hier nicht bestattet. Im Gefängnis gibt es nicht genug Gefangene, um die vielen
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