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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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gern lachte. Sie und Dick lagen umschlungen in dem Bett, das einmal mir gehört hatte.
    »Papa«, rief ich.
    Keine Antwort.
    Ich kletterte die Strickleiter hinunter. Papa war nicht in seiner Schlafkiste.
    Ich machte mich auf die Suche nach ihm, sah im Wasch- und Essensbereich nach und ging dann am Brennholzstapel und den Kohleeimern vorbei in die Küche. Über mir war ein Geräusch. Es kam aus dem Lager über der Küche. Ich stand still und lauschte. Es war ein Radio – jemand hörte die Sender durch.
    Wie ein alter Affe kletterte ich die Strickleiter hoch. Meine Beine zitterten, und als ich um Atem rang, verlor ich das Gleichgewicht und fiel mit der Schulter an die Tür des Lagerraums.
    Das Radio verstummte.
    Nach einer langen Stille ging die Tür auf.
    Kaiser Kohlkopf steckte den Kopf heraus, eine Kerze in der Hand. »Was machen Sie denn hier?«
    »Ich suche Papa.«
    »Hier ist er nicht.«
    »Ich habe ein Radio gehört. Was ist los?«
    »Nichts.«
    »Kann ich reinkommen?«
    »Nein, können Sie nicht.«
    »Soll ich erst alle wecken?«, drohte ich.
    »Ich hab nein gesagt.«
    »Lassen Sie mich rein, bitte.«
    »Nein.«
    »Sie verstecken was, stimmt’s?«
    »Das geht Sie nichts an …«
    »Lassen Sie mich rein!«
    »Wollen Sie, dass ich Sie runterstoße?«
    »Weide!«, hörte ich Papas Stimme von drinnen.
    Kaiser Kohlkopf trat beiseite, und ich ging hinein.
     
    Papas Gesicht leuchtete im Kerzenlicht. In der Hand hielt er einen backsteingroßen Kasten. Es war das Radio einer noblen Marke und besser, als das von Dick gewesen war. Papa drehte am Einstellknopf, und statisches Knistern erfüllte den Raum. Die Szene erinnerte mich an einen Propagandafilm, in dem Verbrecher sich zu einem konspirativen Treffen zusammengefunden hatten. Papa war im Schlafanzug und so ruhig und konzentriert, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Den Kopf zur Seite geneigt, suchte er mit gespitzten Ohren einen bestimmten Sender. Als ich mich umsah, erkannte ich noch mehr Gesichter. Neben Kaiser Kohlkopf und seinen Blutsbrüdern waren Zimmermann Chan mit seinen Söhnen und noch einige andere Leute da. Alle schienen nervös, aber auch aufgeregt.
    »Was hört ihr da?«, fragte ich.
    »Psst!« Kaiser Kohlkopf drückte meinen Kopf nach unten.
    Papa drehte weiter am Einstellknopf. Endlich war eine menschliche Stimme zu hören. »Ich hab’s! Ich hab’s!«, rief Papa begeistert. Doch gleich rauschte es wieder, und Papa suchte weiter, während die anderen geduldig warteten. Nach langer Zeit kam die Stimme wieder und sagte in einem Mandarin mit ausländischen Akzent: »Dies ist die ›Stimme Amerikas‹ direkt aus den Vereinigten Staaten.«

30 . Kapitel
    D
as Radio gehörte Kaiser Kohlkopf und war ein Geschenk Chiang Kai-sheks aus der Blütezeit seiner Macht als Kriegsherr. Damals hatten sich die beiden Männer gegen Mao verbündet. Das Radio war für den militärischen Gebrauch in Amerika produziert worden und deshalb besonders wertvoll. Kaiser Kohlkopf hatte es der Kirche gespendet, nachdem Papa ihn bekehrt hatte.
    Seit es das Radio gab, fühlte Papa sich nicht mehr so abgeschnitten. Es war zu seiner Obsession geworden. An den neuesten Weltnachrichten ließ er eine Gruppe ausgewählter Kirchenmitglieder teilhaben. So war das Leben erträglicher, wenn auch nicht besser. Die Kulturrevolution ging weiter, und die Mao-Huldigungen wurden exzessiver. Die Lebensmittelknappheit war die schlimmste seit dem
Großen Sprung nach vorn.
Wegbereiter musste jetzt andere Leute verfolgen, die Gemüse aus ihrem Garten verkauften, und ließ ein wenig ab von mir.
    Eines Tages bekam ich Besuch von einem Fremden. Er hieß Chu. Obwohl ich ihn nicht erkannte, erinnerte ich mich an seinen Namen. Er war jener General aus Bejing, den Dick 1949 zur Kapitulation überredet hatte mit dem Versprechen, ihm einen hohen Posten in der Volksbefreiungsarmee zu verschaffen. Damals war Dick stolz gewesen, die kaiserliche Stadt gerettet und in den Straßen von Bejing ein Blutbad verhindert zu haben.
    Der Mann vor mir war dünn und krank. Er hatte ein wächsernes, gelbes Gesicht mit eingesunkenen Augen und sprach im Flüsterton. Seine Worte verwirrten mich. Er sagte, er sei Dicks Zellengenosse im Nationalgefängnis gewesen und aus medizinischen Gründen entlassen worden. Ich ließ ihn wissen, dass Dick für Mao arbeitete. Er erwiderte, das sei längst vorbei.
    »Was meinen Sie mit Zellengenosse?«, fragte ich ihn. Ich hatte seit zwei Jahren nicht mehr mit Dick gesprochen und keine Ahnung,

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