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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
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und Becher stehen auf der Ablage. Und der Aschenbecher mit dem Deckel.
    Er geht die Treppe hoch. Es knarzt, wenn er auf die Stufen tritt. Jede Stufe knarzt. Er beschließt, durch die oberen Zimmer zu gehen. Er muss Abschied nehmen. Nimm Abschied, sagt die Stimme.
    Er geht ins Badezimmer. Er nimmt Abschied vom Badezimmer. Er schaut sich alles an, die Kacheln, das Waschbecken, die Badewanne. Die Badehaube seiner Mutter hängt da. Damit ihre Haare nicht nass werden. Er schaut in den Spiegel, ein Junge. Er räumt die Kulturtaschen ein. Er packt die Zahnbürsten und die Zahnpasta hinein. Er geht ins Zimmer seiner Mutter. Er guckt aus dem Fenster. Er guckt Kirschbaumlaub an. Er nimmt Abschied. Er geht in sein Zimmer. Er setzt sich auf das Bett. Er nimmt ein Buch in die Hand, in dem er gelesen hat. Es ist, als wäre dieses Buch nicht mehr sein Buch, das Bett nicht mehr sein Bett, das Zimmer nicht mehr sein Zimmer, das Haus nicht mehr sein Haus. Als hätte sich das Haus verändert. Das Haus ist ein Fremder geworden. Von einem Moment auf den anderen. Wie in einem Museum, denkt er, in dem er einmal gelebt hat.
    Er muss Taschen packen. Er muss sich beeilen. Er geht in das Zimmer seiner Mutter. Er weiß, wo die Taschen stehen. Die Taschen sind im Schrank. Er holt die Taschen aus dem Schrank, seine und die von seiner Mutter. Er nimmt Unterwäsche aus der Kommode seiner Mutter. Er legt die Unterwäsche in die Tasche. Komisch, Mutter-Unterwäsche. Er stellt sich an das Fenster. Er muss eine Pause machen. Es ist etwas mit seinen Augen. Er steht am Fenster. Er sieht sich die Autobahnlampen an. Die Stimme nimmt Abschied. Die Stimme sagt: Tschüs, Autobahnlampen.
    Er sitzt in der Küche. Er ist die Treppe hinuntergegangen. Er schneidet Zwiebeln. Er sitzt am Tisch und schneidet Zwiebeln. Es riecht nach Zwiebeln im Haus. Er lässt es nach Zwiebeln riechen. Er will nichts anderes. Er will nichts kochen oder braten. Er will bloß Zwiebeln schneiden. Zwei Zwiebeln schneidet er. Mit dem Zwiebelschneidemesser. Auf dem Zwiebelschneidebrett. Er entfernt die Haut mit dem Messer. Er schneidet die Zwiebeln in Stücke. Seine Augen brennen. Das Wasser läuft ihm aus den Augen. Es läuft und brennt. Es läuft auf die Zwiebeln, die er schneidet. Es läuft auf das Brett und über den Tisch. Es läuft und läuft. Es überspült das ganze Haus. Alles ertrinkt im Wasser.
     
    49
    Das ist ein Putzerfisch, sagt Mark. Er zeigt auf den grauen Fisch, der sich am Glas festgesaugt hat. Den habe ich neu, sagt er. Der frisst die Algen von der Scheibe. Das ist praktisch, dann muss man das Aquarium nicht so oft sauber machen.
    Wir sitzen vor Marks Aquarium. Auf dem Fußboden um uns herum liegt Zeug. Mark hat noch sein ganzes Spielzeug von früher. Ein Schlumpfhaus steht bei ihm auf dem Fußboden und ein Bully’s Bienenhaus. Damit haben wir gespielt, als wir klein waren. Mark sammelt Schlümpfe. Er hat mindestens achtzig Stück. Zeitschriften liegen auf dem Fußboden und Bücher und Lego und Anziehsachen. Wir beobachten die Fische im Aquarium. Der Putzerfisch ist der beste Fisch, weil er wie ein Hai aussieht, ein Minihai. Die anderen Fische sind langweilig. Mark hat vor allem kleine rotblaue, so viele, dass man sie nicht auseinander halten kann, die kenne ich schon.
    Wie heißen die nochmal?, frage ich.
    Guppys, sagt Mark.
    Langweilig, sage ich.
    Stimmt, sagt Mark.
    Haben deine Fische Namen?
    Hab ich doch gesagt, Guppys.
    Nein, ich meine, wie wir. Mark oder Jonas.
    Nee, sagt Mark. Fischen gibt man keine Namen.
    Warum eigentlich?
    Weiß ich nicht, sagt Mark. Fische sind alle gleich. Die brauchen keine Namen.
    Fische kann man nicht anfassen und mit ihnen spielen, sage ich. Fische sind keine Hunde.
    Ach nee, sagt Mark. Ich will sie auch gar nicht anfassen können, echt nicht. Und ich will sie auch nicht unbedingt auseinander halten können.
    Und der Putzerfisch?, frage ich. Hat der einen Namen?
    Der schon, sagt Mark. Wir grinsen.
    Meine Matratze haben wir in die Ecke unter die Dachschräge gequetscht. Das Zimmer von Mark hat Dachschrägen. Die Ecke mit der Matratze ist meine Ecke. Da steht ein Stapel mit meinen Büchern und meinen Kassetten. Nachts geht das Licht im Aquarium aus. Aber die Pumpe und der Filter laufen weiter, die ganze Nacht lang. Daran muss ich mich gewöhnen. An der Dachschräge über dem Bett von Mark hängt ein Poster mit einem Torwart. Obwohl sich Mark gar nicht für Fußball interessiert. Der Torwart heißt Rudi Kargus. Das steht auf dem Poster.

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