Goldener Reiter: Roman (German Edition)
den Hügel hinab. Ich sitze auf meinem Pferd. Ich habe den Säbel gezückt und mein Zopf weht im Wind. Wir sind die Rebellen von Liang Shan Po. Ich habe Angst, aber ich darf mir nichts anmerken lassen. Ich lache, statt Angst zu haben. Ich schwinge den Säbel und galoppiere den Abhang hinunter, auf den feindlichen Hauptmann zu. Ich mache meine Augen auf, weil ich höre, dass meine Mutter die Treppe hochkommt.
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Ich habe nicht gefragt, ob sie das Blaulicht anmachen können. Ich weiß, dass man das von Kindern erwartet, wenn sie in Polizeiwagen mitfahren. Ich habe einfach neben meiner Mutter gesessen. Ich habe aus dem Fenster geguckt. Das Leder von den Sitzen hat sich kalt angefühlt an meinen T-Shirt-Armen. Kalt und glatt hat es sich angefühlt. Es hat gut gerochen, dieses Leder. Meine Mutter ist still gewesen. Sie hat neben mir gesessen und nach meiner Hand gefasst. Ich habe die Hand nicht weggezogen. Ich dachte, vielleicht braucht sie das.
Ich sitze in einem Vorraum. Ich sitze auf einer Bank aus Metall. Der Vorraum ist nicht einmal ein richtiges Wartezimmer. Um mich herum ist einfach nur Halle. Meine Mutter wurde von einer Frau mit in ein Zimmer genommen. In der Halle hängen Poster an den Wänden. Und selbst gemalte Bilder. Vom Meer und mit einfach nur Farben drauf. Außer mir ist keiner in diesem Vorraum. Etwas weiter sitzt der Pförtner in einem Glaskasten. Wie in einem Aquarium für Pförtner. Ein dicker, rauchender Pförtnerfisch mit einer Zeitung.
Erst wollte meine Mutter nicht in das Polizeiauto steigen. Sie wollte nicht abgeholt werden. Sie hat geschrien. Sie hat die Polizisten geschlagen. Ich habe mich auf die Treppe gesetzt und zugesehen. Ich habe geweint. Ich habe gesagt: Mama, es ist das Beste, Mama, du musst mit den Polizisten gehen. Dabei weiß ich gar nicht, was das Beste ist. Meine Mutter hat geweint. Sie hat am ganzen Körper gezittert. Ich habe den Arm um meine Mutter gelegt. Die Polizisten haben uns angesehen. Es ist das Beste so, habe ich gesagt.
Die Irrenanstalt ist ein Hochhaus. Die Irrenanstalt heißt auch gar nicht Irrenanstalt, sondern Allgemeines Krankenhaus Ochsenzoll . Das steht auf einem Schild am Eingang. Meine Mutter ist in die Irrenanstalt gebracht worden. Eine Schranke geht hoch und man ist in Ochsenzoll. Ochsenzoll bedeutet das Gleiche wie Irrenanstalt. Ich schaue meine Schuhe an. Ich bin ein Kind in Ochsenzoll. Ich bin ein Ochsenzoll-Kind.
Die Polizisten sind wieder weg. Sie haben uns abgeliefert und sind wieder weggefahren. Ich sitze in diesem Vorraum. Sie haben mich einfach so sitzen gelassen. Also sitze ich und lausche in die Flure. Ich sitze und gucke die Bilder an. Sie gefallen mir nicht. Da kann ich ja besser malen.
Was ist, wenn sie mich mit meiner Mutter wieder nach Hause schicken?
Eine Frau hockt sich vor mich hin, die Frau, die meine Mutter mitgenommen hat. Sie guckt mir ins Gesicht. Sie ist eine Ärztin, sie hat einen weißen Kittel an. Kommst du mal mit, damit ich dir auch ein paar Fragen stellen kann?, sagt sie.
Meine Mutter sitzt auf einer Liege. Sie schaut mich nicht an, als mich die Ärztin in das Zimmer schiebt. Ihre Finger sind um ihre Kniescheiben gekrallt. Sie sieht klein aus, und sie guckt ihre Kniescheiben an.
Ich setze mich auf einen Stuhl, meiner Mutter gegenüber. Ich gucke meine Mutter an. Meine Mutter ist eine Irre.
Ist dir in den letzten Wochen etwas an deiner Mutter aufgefallen?, fragt mich die Ärztin. Sie hat sich hinter einen Schreibtisch gesetzt. Hat sie sich anders verhalten als sonst?
Nein, sage ich. Ich schaue meine Mutter an. Die Ärztin hat einen Stift in der Hand.
Du kannst es ruhig erzählen, sagt sie. Deine Mutter ist dir nicht böse. Deine Mutter ist jetzt hier, damit ihr geholfen wird. Niemand will deiner Mutter hier irgendetwas Böses. Du kannst alles erzählen, was dich bedrückt.
Ich schaue die Ärztin an. Hinter der Ärztin ist eine grüne Gardine. Die Gardine dämpft das Licht. Auf der Fensterbank steht ein Blumentopf mit einem Kaktus darin. Die Blätter vom Kaktus sind braun und hängen vom Topf herunter. Wie Schlappohren. Du kannst reden, wirklich, sagt die Ärztin. Du hast deine Mutter nicht verraten, sagt sie.
Meine Mutter schaut mich nicht an.
Sie war komisch, sage ich.
Inwiefern?, fragt die Ärztin.
Sie hat komische Dinge gemacht, sage ich.
Was waren das für Dinge?, sagt die Ärztin.
Sie hat mit sich selber gesprochen, sage ich.
Okay, sagt die Ärztin. Und ist dir sonst noch etwas aufgefallen?
Ich
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