Goldener Reiter: Roman (German Edition)
aufgeht. Meine Mutter kommt die Treppe wieder herunter. Sie hat das Schwert in ein Badelaken gewickelt.
Du spinnst, sage ich. Meine Mutter zieht sich ihre Schuhe an. Sie guckt sich im Spiegel an. Sie streicht über ihre Augenbrauen. Sie guckt mich im Spiegel an, wie ich auf der Treppe sitze.
Willst du mitkommen?, fragt sie. Wir können das auch zusammen machen.
Ich gucke die Teppichstufe an. Ich will mit dieser Schwert-Geschichte nichts zu tun haben. Sie soll mich mit dieser Schwert-Geschichte in Frieden lassen. Das ist ihre Schwert-Geschichte.
Willst du es mit mir wegbringen? Ich schaffe es nicht allein.
Wir sitzen im Auto. Das eingewickelte Schwert liegt im Kofferraum. Meine Mutter hat die Hände auf dem Lenkrad. Ihre Knöchel sehen weiß aus. Sie fährt sich mit dem Finger über die Lippen. Sie macht sich eine Zigarette an. Sie reibt mit ihrer Handfläche über das Hosenbein. Sie lächelt mich an, aber nur kurz, dann ist das Lächeln wieder verschwunden. Ich sehe aus dem Fenster. Ich finde es nicht richtig, ein Schwert auf die Polizei zu bringen. Es ist mir unangenehm. Das macht man nicht. Wenn man schon ein Schwert hat, kann man es auch bei sich im Wohnzimmer über der Heizung hängen lassen.
Der Polizist hinter dem Tresen hat ein Hemd an, keine Uniformjacke und keine Mütze auf dem Kopf. Er lächelt und schaut auf das Schwert, das ich unter dem Arm trage. Eigentlich schaut er auf das Badelaken. Ich wollte das Schwert tragen. Meine Mutter war dagegen, aber ich habe gesagt, sonst bleibe ich im Auto. Ein Samurai würde sein Schwert niemals auf die Polizei bringen.
Ich möchte ein Schwert abgeben, sagt meine Mutter. Sie nimmt mir die Rolle ab und wickelt das Schwert auf dem Tresen aus. Der Polizist lächelt meine Mutter an, aber meine Mutter lächelt nicht zurück.
Gehört dieses Schwert Ihnen?, fragt der Polizist.
Es hat meinem Mann gehört, sagt meine Mutter.
Aha, sagt der Polizist. Er hat aufgehört zu lächeln. Und jetzt?
Mein Mann ist tot, sagt meine Mutter. Der Polizist guckt meine Mutter an. Er legt beide Hände auf das Schwert und zieht es näher zu sich heran.
Ich fühle mich durch dieses Schwert bedroht, sagt meine Mutter. Es macht mir Angst. Ich möchte kein Schwert in meinem Haus haben. Nehmen Sie es bitte.
Der Polizist sieht nicht meine Mutter, sondern mich an. Als sollte ich ihm die Geschichte erklären. Aber ich sehe den Polizisten nicht an. Ich sehe an seinem Arm vorbei auf einen Kalender, der an der Wand hängt. Auf dem Kalender sind Vögel abgebildet. Ein grauer Vogel mit einem orangefarbenen Schnabel, der auf einer roten Rispe sitzt. Rispe heißt so ein Teil einer Pflanze.
Auf dem Weg nach Hause muss ich meiner Mutter an den Arm fassen, wir sterben beinahe. Mama!, rufe ich, weil sie mit dem Auto auf die Gegenfahrbahn gekommen ist.
Das Schwert wird ins Museum gebracht, hat der Polizist gesagt. Da kann ich es mir angucken gehen.
82
Meine Mutter sagt: Ich gehe einkaufen.
Ich sage: Ich gehe mit.
Meine Mutter sagt: Ich kann allein einkaufen.
Ich sage: Trotzdem. Ich gehe mit.
Meine Mutter sagt: Ich will bloß Zigaretten holen.
Ich sage: Das ist mir ganz egal. Ich komme mit. Ich lasse dich da nicht allein hingehen. Das kannst du mir glauben.
Meine Mutter sagt: Du bist albern, Joni.
Das ist mir egal, sage ich. Ich ziehe mir die Schuhe an. Meine Mutter guckt mir dabei zu. Sie kichert vor sich hin.
Das ist so albern, sagt sie. Wenn du wüsstest, wie albern das ist.
Mama, sage ich. Komm. Lass uns diese Zigaretten kaufen gehen. Meine Mutter kichert. Sie setzt sich auf die Treppe und zieht ihre Schuhe an. Sie schüttelt den Kopf und kichert.
Auf der Autobahnbrücke ist meine Mutter ernst. Sie guckt auf ihre Füße beim Gehen. Sie ballt die Hände zusammen. Sie will bloß Zigaretten kaufen, sage ich mir. Bloß Zigaretten kaufen. Wir gehen über die Straße auf den Spar-Markt zu, meine Mutter und ich. Über die Straße gehen: Jonas Fink und seine Mutter.
Es sind nicht viele Leute im Spar-Markt. Es sind keine Nachbarn im Spar-Markt. An der Kasse fragt meine Mutter nach Zigaretten. Ich hätte gerne eine Stange Lord extra, sagt sie. Sie tritt von einem Bein auf das andere.
Gerne, sagt die Kassiererin. Die Kassiererin heißt Frau Baumgart. Das steht auf dem Schild an ihrem Kittel, aber ich weiß es auch so.
Die muss ich kurz holen.
Wieso?, sagt meine Mutter. Sie macht ein böses Gesicht. Ihr Mund ist ein Strich. Wieso?, sagt sie noch einmal. Frau Baumgart guckt meine Mutter
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