Goldfalke (German Edition)
und wand sich. Staubflusen und Sand regneten herab, aber d ie Regalwand hielt. Und das Küken auch.
Dieser Anblick fesselte Kiana derartig, dass sie erschrak, als der Bronzezyli nder in ihre Hand sprang. Sie zog ihn aus dem Loch, holte die Schriftrolle heraus und warf sie Nesrin zu. „Ist das die Richtige?“
Angestrengt verengten sich Nesrins Augen beim L esen, schwenkten dann aber zusammen mit dem Lichtkegel der Taschenlampe über die zähnefletschenden Dschinns, die versuchten, an Baskis Prankenhieben vorbei zu gelangen. „Keine Ahnung. Machen wir, dass wir hier rauskommen!“ Sie verstaute das alte Dokument neben dem anderen in ihrem Hosenbund, warf ihren Teppich in die Luft und saß auf ihm, kaum dass er sich entrollt hatte. Kiana tat es ihr gleich, war beim Aufsteigen aber nicht annähernd so geschickt. Mordgierige Pfoten krallten sich in Kianas Schenkel und ließen sie vor Schmerz und Entsetzen aufschreien.
Sofort rauschte das Dschinn-Küken heran und hackte auf das Gesicht der Hyäne ein. Die ließ Kiana los, um nach dem Küken zu schlagen, doch das attackierte bereits ein echsenähnliches Monster, das sich von hinten an Kiana heranpirschen wollte.
Endlich hatte auch sie es auf ihren Teppich geschafft, flog die Treppe hoch und durch die Kammer im Säulensockel. Vor ihr zog Nesrin die Ränder ihres rosa Blümchenteppichs hoch und glitt im Flug durch den Mauerriss nach draußen. Ohne nachzudenken machte Kiana es ihr nach, stieß sich dabei die rechte Schulter an, und schon fand sie sich im gleißenden Sonnenlicht wieder.
Nesrin wartete, bis Baski als Kätzchen auf ihren Teppich sprang, da war die Dschinn-Meute schon da. Zähne drohten, Kiefer schnappten, Pranken hieben zu. Ledrige Finger krallten sich in Kianas Teppich, bis das Dschinn-Küken zwei davon abhackte, die sodann wie Würmer den Teppichrand entlang krochen. Angewidert fegte Kiana sie weg.
Als die Mädchen hoch in die Luft stiegen, stellte Kiana mit Grausen fest, dass ein beängstigend großer Teil der Dschinns flugfähig war. Wie ein Geschoss griff das Küken an, durchbohrte Flughäute und gefiederte Leiber, als wären sie Papier. Ein Dschinn nach dem anderen stürzte ab. Doch es waren noch immer Hunderte. Und sie holten auf. Trotz des halsbrecherischen Tempos.
Nesrin flog dicht an Kiana heran und schrie: „ Halt an! “
„Was?“ Das konnte sie doch nicht ernst g emeint haben!
„ Vertrau mir, Ki! Vollbremsung, sonst sind wir im Arsch! “
Da Kiana verzweifelt hoffte, dass ihre Freundin einen Ausweg wusste, wo sie selb st keinen sah, verstärkte sie ihren Klammergriff um den Teppichrand und stoppte mit all der Macht, zu der ihre Gedanken fähig waren, den Flug.
Der Ruck brachte sie ins Schwanken, doch schon war Nesrin da, sprang zu ihr herüber, brachte den Teppich ins Gleichgewicht, nur um ihn sogleich im freien Fall absacken zu lassen und ihn dann nur einen Meter über dem Boden anzuhalten. Ihr eigener Teppich schwebte nebenher. Nesrin zog etwas aus ihrer Tasche, das aussah wie ein … Topf? Klein, verbeult, mit Deckel, aus angegrüntem Kupfer. „Halt mal, Ki!“
Kianas Magen hing irgendwo in ihrer Kehle fest. Automatisch griff sie nach der Tasche, die Nesrin ihr gegen die Brust geklatscht hatte. Die Ifrit und Afrit, zunächst von Nesrins Manöver überrumpelt, waren an ihnen vorbeigedüst. Jetzt drehten sie um und kamen zurück.
„ Ruf deinen Dschinn in die Flasche, Ki!“, schrie Nesrin.
Aber das Dschinn-Küken war momentan die einzige Waffe, die sie hatten, um die fliegenden Ungeheuer abzuwehren! Soeben hackte es einer mannsgroßen Fledermaus, deren scharfe, sägeblattartige Flügelkanten dicht an Kiana vorbeischrammten, die Augen aus. Kiana konnte sich rechtzeitig ducken, doch ein Sägeblattflügel erwischte ihren Schleier und zerriss den unteren Saum. Dann stürzte die Riesenfledermaus zu Boden.
„ Vertrau mir, Ki, sonst kannst du deinen Dschinn abschreiben!“
„ Oh nein, Nesrin!“ Aber da Kiana selbst keinen Plan hatte, zog sie den Stopfen ihrer Glasphiole heraus. Ihr Küken flog heran, wurde lang und dünn, als würde es sich verflüssigen, und verschwand irgendwie in dem kleinen Fläschchen. Kiana steckte den Stopfen wieder hinein.
Baski krallte sich i m Stoff von Nesrins Hose fest. Nesrin ließ den Teppich, auf dem sie alle saßen, auf dem Boden aufsetzen, schnappte ihren eigenen Teppich - „Duck dich!“ - und zog ihn über sie alle drüber. Wie ein Schutzdach. „Halt die Tasche fest, Ki!“
Kianas Faust
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