Goldfalke (German Edition)
könnten eine echt krasse Verwirrung unter Damons Armee stiften, wenn wir sie dort freilassen würden.“
„Oder sie wenden sich gleich zusammen mit Damons Armee gegen uns, weil wir es sind, die sie eingesperrt haben.“
„Oder das.“ Mit einer nachlässigen Handbewegung dirigierte Nesrin beide Teppiche in die Luft, bis sie Schatten spendeten. „Jetzt wäre ein Schluck Wasser recht.“
Schuldbewusst senkte Kiana den Kopf. „Leider habe ich unseren Proviantkorb verl oren.“
„Und ich die Taschenlampe. Was soll’s!“ Nesrin kramte in ihrer Tasche. „Dank Ava haben wir ja noch das da. Ein bisschen retro, das Teil, aber besser als nichts.“ Sie zog den glucksenden, ledrigen Schlauch heraus, den ihr die Haushofmeisterin vor der Abreise zugesteckt hatte. So wie er aussah, war er aus einem Schafsmagen hergestellt. Nesrin nahm einen großen Schluck daraus und reichte ihn Kiana.
„ Danke.“ Auch Kiana trank gierig und meinte dann: „Bevor wir aufbrechen, schau bitte nach, ob die zweite Schriftrolle die richtige ist!“
Als würde Nesrin erst jetzt wieder ei nfallen, dass sie zwei wichtige Schriftstücke in ihrem Hosenbund stecken hatte, sah sie an sich herab und zog die Rollen hervor. „Egal, ob richtig oder nicht, in dieses Ruinen-Dreckskaff setze ich keinen Fuß mehr!“ Trotzdem rollte sie eines der antiken Dokumente aus. „Das ist auch Papyrus und mindestens genauso alt wie der erste Schrieb.“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen studierte sie die Zeichen, die aussahen, als hätte jemand Nägel zu einem merkwürdigen Muster geordnet.
Obwohl Kiana selbst weder Lesen noch Schreiben konnte, erkannte sie doch, dass diese Zeichen in keinster Weise der Schrift auf den Reklametafeln und Plakaten im reichen Viertel ihrer Heimatstadt ähnelten. „Du kannst das entziffern?“
„Mein Ziehvater hat mir wahnsinnig viel beigebracht, unter anderem auch Keilschrift. Aber die sieht man normalerweise nur auf Steininschriften.“ Ein Strahlen erhellte Nesrins Gesicht. „Oh Ki, hier steht es: Die neun Welten des Seins. Das muss es sein!“ Sie fuhr mit dem Zeigefinger die merkwürdigen Zeichen nach. „Und hier sind neun Begriffe aufgelistet. Ich werd verrückt, das ist der richtige Text!“
Gespannt fixierte Kiana das Schriftstück, als könnte sie es selbst lesen, wenn sie nur konzentriert genug darauf starrte.
„Fleischlicher Körper“, murmelte Nesrin, „geistiger Körper, Weltseele, Geistseele, das Herz, das Wesen, die Lebenszeit - halt, nein, es heißt Lebenskraft, der geheime Name und …“, sie kniff die Augen zusammen, „… keine Ahnung, was dieses eine Zeichen da bedeutet. Egal!“ Unwillig rollte sie die Schrift wieder zusammen. „Für diesen Esoterik-Kram hab ich jetzt echt keinen Nerv. Das Zeug ziehen wir uns besser in Ruhe in der Karawanserei rein, bei einem Becher gekühlter Kamelmilch und einer Portion Halwa. Vielleicht weiß ja dort einer, wie dieses eine Wort da heißt und was die anderen genau bedeuten.“
Kiana nahm ihren lädierten Schleier, riss ihn längs entzwei und reichte eine Hälfte ihrer Freundin. „Damit du eine Kopfbedeckung hast.“
„Danke, Ki. In der Karawanserei kaufen wir un s neue Tücher. Der Trip wird also doch noch zu der Shopping-Orgie, die wir vortäuschen wollten.“ Mit müden Bewegungen band Nesrin den Fetzen um ihren Kopf und stopfte das magische Töpfchen zusammen mit den Schriftrollen in ihre Tasche, ohne übertriebene Rücksicht auf das Alter oder die Bedeutung der Dokumente zu nehmen. „Komm, lass uns endlich hier abhauen!“
Obwohl Kiana erschöpft war, verbündete sich ihre eigene innere Unruhe mit der ihrer Freundin und trieb sie vorwärts. Sie reisten in schnellem Tempo, um mit dem Fahrtwind die heiße Gnadenlosigkeit des Mittags auszutricksen. Was nur bedingt gelang.
„Cool, wie wir Mister Glubschauge und seine Kumpels abgezockt haben, was, Ki?“
Obwohl es ein nur mäßig erfolgreicher Versuch war, in die Trostlosigkeit des endlosen Sandes einen Hauch von Fröhlichkeit zu sprühen, ließ sich Kiana vom Grinsen ihrer Freundin anstecken und erwiderte: „Ich kann es kaum glauben, dass wir das geschafft haben. Oder besser gesagt, wie du das geschafft hast. Wie du diesen Dreiäugigen dazu gebracht hast, uns in die Bibliothek zu bringen, war einfach unglaublich. Und ohne deinen Zaubertopf wären wir nie heil da weggekommen.“
„Du hast genauso deinen Job gemacht. Immerhin hast du dir die Schriftrollen gekrallt. Und dabei hast du noch nicht mal
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