Goldfalke (German Edition)
deine engsten Freunde verschont!“
Nun ruckten die Blicke aller zur Herrscherin, die in einem weißen, fließenden Kleid auf dem Balkon ihrer Gemächer stand, wie ein zarter Schmetterling auf einer schimmernden Blüte. Ihre Antwort war kein lautes Dröhnen wie die Worte des Schrecklichen Sultans, sondern eher ein Wispern, das um die Zwiebeltürme strich, von der Palastmauer in vielen Echos zurückgeworfen wurde und sich über die ganze Ebene ausdehnte, bis es in den Köpfen jedes Anwesenden vibrierte: „Scher dich weg, Damon!“
„Du hast keine Wahl, Soraya!“, hallte es aus dem Maul der Löwenfestung. „Ein Wink von mir, und meine Streitmacht wird deine Mauern überrollen und alles töten, was sich ihr in den Weg stellt.“
„Sollen sie kommen!“ Kaum dass Soraya diese Erwiderung ausgesprochen hatte, ertönte ein Knirschen, wie wenn Stein auf Stein schabt, und das Rosenrelief auf der Außenmauer des Palastes veränderte sich. In Windeseile wuchsen die steinernen Rosenranken aus dem Mauerwerk heraus, schlangen sich umeinander und wucherten zu einem undurchdringlichen steinernen Gestrüpp, aus dem spitze meterlange Dornen sprossen.
„ Dein Starrsinn wird dir auch nichts nützen“, donnerten Damon und seine Festung. Dann wurde die tiefe Stimme noch tiefer: „Erinnere dich an das, was wir früher füreinander waren! Öffne die Tore deines Palastes, und es kann wieder so sein zwischen uns!“
„Die Schlechtigkeit deiner Taten ließ vergangenes Glück verwesen“, warf der Palast zurück. „Lieber würde ich tausend Tode sterben, als dass ich unser Land dir und deinen Bestien zur Plünderung überlasse.“
„Es ist bedauerlich, dass du es so siehst. Das zwingt mich dazu, Maßna hmen zu ergreifen, die sonst nicht nötig wären.“
Eine andere Art von Anklage schwang in Sorayas nächsten Worten mit: „Ihr Skorpionkrieger! Einst wart ihr ein stolzes Volk, das vom Land nur so viel nahm, wie es leisten konnte. Jetzt aber vermehrt ihr euch ungehemmt wie Ungeziefer, überschwemmt die Klare Welt und lasst nur Verwüstung zurück. Was ist aus euch geworden, dass ihr eure Heimat verlassen habt, um Damon als erbärmliche Sklaven zu dienen?“
Die Festung dröhnte: „ Hört nicht auf die Ungläubige! Den Auftrag, euch zu leiten, habe ich vom Schöpfer selbst empfangen. Nur wer mir gehorcht, sichert sich den Sieg. Und einen Platz in den lauschigen Felsgrotten des Paradieses.“
Ein tausendfaches Trommeln durchzog die Wüste, als sich die Skorpione auf ihre Hinterbeine stellten und zum Beifall die Greifscheren gegen ihre Brust schlugen.
Kiana hätte schwören können, dass sich die beiden großen Wehrschlitze oberhalb des Festungsportals wie Nüstern blähten, als Damon die nächsten Worte brüllte: „ Greift an! “
Noch während dieser Befehl über die Ebene hallte, weiteten sich die Nüstern der Ehernen Festung erneut und schossen zwei Ladungen geballtes Feuer ab. Die Wucht dieses Feuerstoßes brachte ein breites Stück der Palastaußenmauer zum Einsturz und setzte die Trümmer in Flammen.
Die Herrscherin und der Palast schrien auf. Durch die Augen des Falken beobachtete Kiana besorgt, wie ihre Mutter, die Haushofmeisterin und der Großwesir an Sorayas Seite traten. Sayed und Ava stützten sie, und Elina setzte ihr Amulett auf die Kehle der Herrscherin. Währenddessen rückten die Skorpione und Ghule vor.
Neu erstarkt richtete sich Soraya auf, hob die Arme, und sofort erschien ein weißer Blitz auf der Palastkuppel. Er sprang über auf den Turm links des Eingangs, raste darum herum, sammelte sich auf der Turmspitze und zuckte in einem gleißenden Bogen durch die Nacht.
Der Blitz traf auf den Haupttrakt der Ehernen Festung, erschütterte die metallische Fassade und auch Damon selbst, doch beide hielten schwankend stand.
Die Skorpione warfen sich auf die Lücke, die Damons Feuerstoß in die Palastmauer gerissen hatte, wurden jedoch von Kassims Elefanten und Sayeds gelbem Riesen zurückgedrängt. Während diese beiden Dschinns das niedergerissene Mauerstück nahezu im Alleingang verteidigten, eilten zehn, nein, zwölf von Avas Dschinns mit Eimern herbei, löschten das Feuer, stellten sich in die Mauerlücke, verhakten ihre sechs langen Arme miteinander und mit dem Mauerwerk und bildeten so eine Art Geflecht. Dabei spalteten sie sich in weitere Duplikate, die sich wiederum teilten und in die Lücke eingliederten, bis sie die Mauer als ein mehrschichtiges Netz aus hellblauen Armen und Beinen geflickt
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