Goldfalke (German Edition)
während sie gemeinsam beobachteten, wie der betreffende Dschinn einen seiner verzweigten Äste auf einen Skorpionschwanz klatschte und mit den scherenartigen Bewegungen seiner ovalen, offensichtlich messerscharfen Blätter den Skorpionstachel einfach abknipste.
„Er scheint auch ganz fit zu sein im Heckenschneiden“, bemerkte Nesrin. „Oh Scheiße, seht mal! Die Skorpionärsche wollen sich hier vorbeischleichen. Wahrscheinlich um den Palast von hinten anzugreifen. Jetzt müssen wir aber was tun!“
„ In der Tat.“ Fatima wechselte vom Schneidersitz in eine kniende Position. „Bleibt ihr mal lieber hier, Töchterchen, und macht mit eurem Gierigen Töpfchen, was immer ihr geplant habt! In der Zwischenzeit seht einer alten Frau zu, wie sie die Sache in Ordnung bringt!“ Postwendend sackte ihr Teppich ab. Seine seitlichen Ränder wölbten sich dabei nach unten, bis Fatima auf ihm ritt wie auf einem Sattel. Im selben Moment wuchsen dem Sattel Beine und ein Kopf und Hörner, während Fatima im Sinkflug weiter nach unten driftete. Gerade als Kiana befürchtete, die alte Frau würde auf den Skorpionen landen, hatte sich Fatimas Teppich in einen Bullen verwandelt, der im Galopp durch die Feinde fuhr und mit seinem feuerspeienden Atem alles in Brand setzte, was ihm in die Quere kam. Was die Brandpfeile der Palastkrieger nicht vermocht hatten, schaffte dieser Bulle im Handumdrehen. Vor seinem Feuer gab es kein Entrinnen.
„Wow, der Himmelsstier!“, keuchte Nesrin.
Fatima saß auf ihrem Dschinn wie ein meisterhafter Reiter auf einem Araberpferd und sengte eine brennende Schneise durch die Feinde. Nicht nur, dass die alte Dame es schaffte, die Skorpione in Brand zu stecken, die sich hinter den Palast schleichen wollten, sie legte danach noch eine lodernde Zickzackspur durch die Reihen der anderen. Mit einem eleganten Sprung in die Luft beendete der Himmelsstier sein Zerstörungswerk, zog seine Beine ein, verwandelte sich wieder in den unscheinbaren Teppich, der er bisher gewesen war, und trug seine Reiterin zu den staunenden Mädchen zurück.
Fatima wirkte außer Atem. „So! Jetzt muss ich mich aber ausruhen. Schließlich bin ich eine alte Frau, und meine Kräfte sind erschöpft. Ich wünsche euch viel Erfolg, Töchterchen!“ Damit drehte sie ab und flog zum Palast.
„Das war ja so was von krass, hey!“, hauchte Nesrin ergriffen.
Dann bebte die Erde.
Skorpione und Ghule stoben auseinander , als sich in ihrer Mitte etwas aus dem Sand schob. Ein Turm, den Kiana gut kannte. Wie ein Spieß stach er durch den Boden und wurde größer, größer, größer.
Kianas Finger krallten sich in den Seidenschal, der den Zaubertopf zusammenhielt. Ihr Teppich flog wie von selbst los, doch dann stoppte er abrupt, als das oberste Turmfenster aufging und einen Schwarm von Gestalten auf Teppichen ausspie. Menschenfresser.
Viele Menschenfresser.
„So viel zu deinem Plan“, presste Nesrin hervor. Die Mädchen wichen zurück in den Schatten, den die Palastmauer warf.
Die Kämpfe ringsum kamen zum Erliegen, denn alle, Freund wie Feind, lauschten einträchtig und starr vor Entsetzen oder Ehrfurcht - oder beidem - dem prasselnden Ächzen der Wüste, als sich die Eherne Festung aus ihr erhob und höher, höher und höher stieg. Ein gigantischer Berg aus Metall und Gewalt, der die Sterne verdeckte. Wie lauernde Raubtieraugen glotzten beleuchtete Schießscharten auf ihre Opfer und warfen ihr unheiliges Licht auf die gezackte Außenhaut der Nebentürme und die scharfkantigen Zinnen der Wehrgänge. Die Menschenfresser umkreisten die Festung wie Schmeißfliegen ein Stück Fleisch, griffen aber niemanden an.
Noch nicht.
Das Haupttor der Metallburg öffnete sich und gab die Sicht frei auf die Eingangshalle, die Damon das letzte Mal als Bühne für die Ansprache an sein Heer benutzt hatte. Geschickt platziertes Fackellicht im Hintergrund ließ die Eingangshalle wie den feurigen Rachen eines dämonischen Löwen aussehen.
In diesem Höllenschlund erschien ein Mann. Schwarz gekleidet, breitschultrig, selbstsicher. „Soraya, ergib dich!“
Es war nicht nur die Akustik der Eingangshalle, die Damons Befehl dermaßen verstärkte, dass man ihn überall auf der ganzen Ebene hören konnte, vielmehr stieß die Festung selbst die Worte direkt aus ihrem Rachen aus und ließ damit die Wüste wie auch die Gemüter aller Anwesenden gleichermaßen erzittern. „Du kannst diesen Kampf nicht gewinnen. Unterwirf dich, Soraya, dann werden du und
Weitere Kostenlose Bücher