Goldfalke (German Edition)
das heilende Licht verschwand, kam aus dem Palast der Vielwissende, ersuchte Nachricht. Mein Volk streifte aus, fand verbrannte Erde, fand zerfetztes Fleisch, fand den Hellhäutigen tot. Aber von der Heilenden keine Spur, kein Geschmack von ihr zu erzüngeln im Gebüsch, auf Stein oder Erde oder Wüstensand. Selbst der Wind besaß keine Kunde von ihr.“
Kianas Handflächen drehten sich nach oben in einer Geste flehender Hilflosi gkeit. „Aber wo ist sie dann hin? Lebt sie oder ist sie tot?“
Sahmarans Unterleib streckte sich zu einem riesigen Schlangenschwanz, doch der Rest von ihr erschien noch immer menschlich. Zumindest die meiste Zeit. „Erkaltete Körper sind zu spüren. Kleinste Blutstropfen sind zu schmecken. Todeszeichen bleiben meinen Kindern nicht verborgen. Zu erfühlen jedoch gab es nur des Hellhäutigen Hülle.“
Daran klammerte sich Kiana: „Dann ist meine Mu tter nicht mit meinem Vater gestorben? Aber wo ist sie?“
Nur einen Augenblick lang erschien d as Muster von Schlangenhaut auf Sahmarans Wange, dann war es wieder weg. „Mein Volk durchdringt Erde und Sand. Erforscht die schlammige Niederung, den ausgetrockneten Wadi und den steinigen Gipfel. Einige beherrschen selbst das Wasser. An keinem Ort, wo mein Volk besteht, fand sich der Heilerin Hauch.“
„Wo soll ich dann suchen?“
„Eins gegeben, zwei entdeckt, indes nur die acht finden alle neun Teile einer Persönlichkeit.“
Das half Kiana nun gar nicht weiter. „Gibt es denn gar keinen greifbaren Hinweis?“
„Hinweise gab ich mehr, als du womöglich kannst bewält igen. Was ich an Greifbarem habe, lege ich gerne dazu.“ Sahmarans Finger glitten in ihre kunstvoll aufgesteckte Frisur und hielten dann ein Haar vor Kianas Nase. „Nimm und nutze mit Bedacht! Geh nun und finde das heilende Licht!“
Ein Haar als Glücksbringer .
Kiana schluckte ihre Enttäuschung herunter, stand auf, verbeugte sich und nahm das Haar an sich, denn es wäre undenkbar gewesen, Sahmarans freundliche Geste zurückzuweisen. Um es nicht zu verlieren, wickelte Kiana das lange, schwarze Haar um ihren Mittelfinger. „Vielen Dank, edle Königin! Du hast meine Hoffnung gestärkt, dass meine Mutter noch lebt.“
„ Stärke sich immer aus Hoffnung nährt, Heilerin-Spross. Mögest du mehr finden, als zu suchen du wagst!“
„Friede sei mit dir, erhabene Königin!“ Hatte Kiana der Schlangenherrscherin nun genug Respekt gezollt? Genug, dass Sahmarans schlängelnde Untertanen sie am Leben ließen auf ihrem Rückweg?
Sahmaran rollte sich ein, nun wieder ganz Schlange. Das Haar in Kianas Hand blieb jedoch Haar. Nach einer letzten Verbeugung wandte sich Kiana um und kehrte zurück in den felsigen Gang, durch den sie gekommen war.
„Oh wow, Ki, du bist zurück!“ Nesrin flog zum Höhleneingang und zog den Pfeilteppich mit sich. Baski saß auf ihrem Schoß. „Hat dich keine Schlange gebissen? Hast du Sahmaran gefunden? Weißt du jetzt, wo deine Mutter steckt?“
Kiana blinzelte in das fast schmerzhaft helle Licht, als sie ins Freie trat. Begierig darauf, ein Stück Luft zwischen ihre Füße und die allgegenwärtigen Schlangen zu bekommen, hechtete sie auf ihren Teppich. „Lass uns erst mal hier verschwinden!“
Auch Nesrin legte keinen Wert darauf, auch nur einen Augenblick länger hier zu verweilen. Gemeinsam flogen sie heraus aus dem Tal, schneller als Kiana bisher zu fliegen gewagt hatte.
Hauptsache weg von den Schlangen!
Sie durchquerten Senken und überflogen Anhöhen, bis sie den Felsvorsprung erreichten, auf dem sie beim Hinflug gerastet hatten. Auch jetzt ließen sie dort ihre Teppiche niedersinken, tranken ihre Wasserflaschen leer und verspeisten ein paar gekochte Eier mit Fladenbrot und Datteln, während Kiana ihrer Freundin alle Einzelheiten des Gesprächs mit der Schlangenkönigin berichtete.
„ Was Sahmaran gesagt hat, war ein Rätsel“, schloss Kiana. „Aber ich habe sie so verstanden, dass meine Mutter sie vor vielen Jahren geheilt hat. Und dass nach dem Verschwinden meiner Mutter einer aus dem Palast, vermutlich Sayed, bei Sahmaran war. Die im Palast wissen also, dass Sahmaran keine Ahnung hat, wo meine Mutter ist. Und trotzdem haben sie mich hergeschickt. Warum?“
Nesrin zuckte die Schultern, spuckte einen Datte lkern aus und warf ihn zu Baski, die damit zu spielen begann.
„Das Einzige, was ich bei Sahmaran bekommen habe, war die vage Hoffnung, dass meine Mutter noch lebt. Ach ja, und das hier.“ Kiana wickelte das Haar
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