Goldfalke (German Edition)
der Schlangenkönigin von ihrem Finger.
Sogleich wurden Nesrins Augen groß. „Ein Haar von Sahmaran? Du Glückliche!“ Sie schlug sich den Handballen an die Stirn. „Oh Mann, Ki! Jetzt wird mir auch klar, warum Soraya dich zu Sahmaran geschickt hat. Nicht, um nach dem Weg zu deiner Mutter zu fragen, sondern weil sie damit rechnete, dass sich Sahmarans Dankbarkeit für ihre Heilung auch auf die Tochter der Heilerin erstrecken würde.“ Andächtig strich sie mit der Fingerspitze über Sahmarans Haar, dann holte sie ein kleines Schminktäschchen aus ihrer Hosentasche und steckte das Haar hinein. „Wenn du erlaubst, Ki, bewahre ich es hier drin für dich auf, bis wir daheim sind. Es darf auf keinen Fall verloren gehen.“
„Was ist denn an dem Haar so b esonders?“
„Das weißt du nicht?“ Nesrin steckte das Täschchen zurück in ihre Hosentasche. „ Wenn du mal in eine Notlage gerätst und das Haar verbrennst, schickt dir Sahmaran Hilfe. Du musst es aber selber machen, ich meine, das Haar verbrennen. Wenn jemand anders es verbrennt, ist es wirkungslos.“
„Deshalb sagte Sahmaran, ich soll es mit Bedacht nu tzen. Wie wird ihre Hilfe aussehen, wenn ich das Haar verbrenne?“
„Keine Ahnung. Vielleicht so wie eine Simurgh-Feder. Wenn du sie verbrennst, kommt der Simurgh persönlich vorbei.“ Nesrin nagte an ihrer Unterlippe. „Allerdings könnte das echt dauern, bis Sahmaran, na ja, angekrochen kommt. Egal! Auf jeden Fall ist das Haar ein machtvolles Zaubermittel. Sonst hätte dich Soraya nicht in diese Schlangenhöhle geschickt, um es zu kriegen.“
Nachdenklich schwenkte Kianas Blick über die Bergspitzen vor ihr und die Wüste dahinter, deren Dünen fast orange wirkten in der tief stehenden Spätnachmittagssonne. Dass Kiana nun plötzlich ein machtvolles Zaubermittel besaß, ließ sie sich weniger hilflos fühlen. Weniger minderwertig angesichts all der klugen Menschen und Wesen dieser Zauberwelt. Dann erregte etwas in der Ferne ihre Aufmerksamkeit. „Was ist das denn?“ Gleichzeitig musste sie ihren Teppich festhalten, der sich ein Stück anhob, als wollte er sofort dorthin fliegen.
„Was denn?“ Nesrin schirmte die Augen mit ihrer flachen Hand ab und schaute in die Ric htung, in die Kianas ausgestreckter Arm wies. Dorthin, wo in der Ferne eine Rauchsäule aus den Sanddünen aufstieg.
„Hoffentlich nicht das, was ich denke.“ Unvermittelt pac kte Nesrin die Wasserflaschen und Proviantreste zusammen. „Komm, schauen wir nach!“
Auf halber Strecke zwischen den Bergen und der Rauchsäule kam ihnen der weiße Geier entgegen geflogen. Die Mädchen hielten ihre Teppiche an und ließen sie in Mannshöhe über dem Boden schweben. Nesrin saß entspannt im Schneidersitz da, Baski auf dem Schoß. Kiana dagegen, die sich beim Fliegen nach wie vor am Teppichrand festhalten musste, um sich halbwegs sicher zu fühlen, rieb stöhnend ihre schmerzenden Finger.
Miro nahm am Rand von Nesrins Teppich Platz, schüttelte sich und wirbelte graue Flusen auf. „Ah, eine kurze Rast tut meinen erschöpften Schwingen gut. Mein Gefieder ist schon ganz stumpf vor lauter Asche.“ Seine Schwungfedern kämmten durch den Flaum auf seinem halbnackten Schädel. „Dieser abscheuliche Ruß ist Gift für meine Haut! Beherbergst du nicht zufällig eine Feuchtigkeitslotion im stets unerschöpflichen Vorrat deiner Tasche, Nesrin?“
„Nein, so was hab ich nicht dabei. Außerdem gibt’s im Moment Wichtigeres, um das wir uns kümmern müssen, als deine Eitelkeit, Miro.“
Der Kopf des Geiers sackte nach vorn zwischen seine Schultern. „Es gab eine Zeit, da war meine Schönheit für meine Selbstachtung der einzige Halt, den man mir gewährte.“
Bevor Nesrin zu einer Antwort ansetzen kon nte, hob sich sein Kopf wieder. Mit einem Auge fixierte er Kiana, das andere kniff er zu. „Sag an, Geweissagte: Hast du Sahmaran, die Legendäre, gefunden? Berichte rasch! In Eile bin ich, dem Palast des Großwesirs Befehle zu überbringen. Eine kurze Nachricht jedoch vom Ausgang eurer Reise kann ich zugleich als Dreingabe hinzufügen.“
„Ki hat von Sahmaran ein Haar erhalten“, fasste Nesrin alles z usammen.
Der Geierkopf drehte sich zwischen den Mädchen hin und her. „Ein gewaltiges Geschenk fürwahr!“
Nesrin wies auf die Rauchsäule, deren beißender Geruch nun deutlich wahrzunehmen war. „Sayed ist also dort hinten bei diesem Brand?“
„Er und die Hälfte der Palastkrieger.“
„Was ist denn da
Weitere Kostenlose Bücher