Goldfalke (German Edition)
passiert?“
Die sowieso stets grimmige M iene des Geiers wurde noch finsterer. „Wie es aussieht, hat der Schreckliche Sultan eine Karawane überfallen. Mögen Pestbeulen seine schändliche Haut überwuchern und Würmer seine Eingeweide fressen!“
„ Oh Scheiße, hey! Genau wie ich befürchtet habe!“
„Eure Flugrichtung lässt vermuten “, krächzte der Palast-Ausschreier weiter, „dass jugendliche Wissbegier, gepaart mit ebenso jugendlichem Leichtsinn, euch zum Schauplatz jenes Verbrechens treibt. Ich glaube nicht, dass Sayed sich erfreut würde zeigen bei eurem Eintreffen am Ort des Grauens. Der Anblick ist nichts für zarte Jungfern. So begleitet mich lieber zurück zum Palast!“
Unwillig schnaubte Nesrin. „ Seit wann bin ich eine zarte Jungfer? Außerdem finde ich, dass man Ki zeigen sollte, worauf sie sich einlässt, wenn sie sich mit Damon anlegt. Das ist nur fair. Was letzte Woche mit dem Dorf am Orangenhain und jetzt anscheinend auch mit der Karawane passiert ist, kann jederzeit wieder geschehen.“
„Wozu braucht ihr denn Karawanen?“, fragte Kiana , die sich abmühte, Miros Bericht irgendwo zwischen ihre breiten Wissenslücken einzuordnen. „Befördert ihr eure Lasten denn nicht auf fliegenden Teppichen? Und warum verhält sich der gefürchtete Löwen-Sultan, der ja ein so großer Zauberer sein soll, wie ein einfacher Strauchdieb und überfällt Leute? Hat er das nötig?“
„ Diese Karawane hatte Sperriges geladen“, antwortete Miro, „welches hätte die Tragfläche von Teppichen überfordert. Mit Möbeln aus Zedernholz und Stoffballen aus Seide und Brokat war sie unterwegs zum Bunten Basar. Leichte Beute für den Löwen-Sultan, welcher ist mitnichten ein gewöhnlicher Wegelagerer. Sein Begehr umfasst weit mehr als das gemeiner Diebe, denn er raubt der Opfer Lebenskraft. Gegen ihn und seine Schergen ist jeder, ob Mensch oder Dschinn, machtlos auf offenem Gelände. Aber ich habe jetzt keine Zeit, euch davon Rechenschaft zu geben. Auf Einzelheiten müsst ihr warten, denn zum Palast nun muss ich eilen. Gehabt euch wohl!“
Der Wind, den der Geier erzeugte, als er sich mit kraftvollen Flügelschlägen in den Himmel erhob, tat gut auf Kianas schwitzendem Gesicht.
„Und falls Sayed fragt“, schrie Miro ihnen von oben zu, „dann bezeugt ihm glaubhaft, ich hätte versucht, euch aufzuhalten!“
Er stieg höher, und seine Worte waren kaum noch zu verst ehen: „Und verratet ihm nicht, dass ich euch von der Karawane gab Kunde, sonst glaubt er noch, ich selbst hätte eure Neugier geweckt und euch zum Ort des Verbrechens getrieben!“
Dann fügte er hinzu: „Ach, erwähnt mich am besten mit gar keinem Wort!“, bevor er die Richtung zum Palast einschlug.
Nesrins Teppich beschleunigte wieder, und Kiana folgte mit unguten Gefühlen. Der Qualm wurde stärker, beißender. Er verdüsterte den Himmel, reizte die Nase, schürte Angst. Eine Angst, die in Entsetzen umschlug, sobald das sichtbar wurde, was von der Karawane noch übrig war. Menschen und Kamele lagen verstreut am Boden.
Alle t ot.
Die Leichen sahen aus, als würden sie schon ewig hier liegen, der Wüste ausgesetzt, die alle Flüssigkeit und alles Leben aus ihnen herausgezogen hatte. Aber die noch immer schwelenden Kisten, die von den Kamelen gerutscht waren, zeugten davon, dass der Überfall erst wenige Stunden zurücklag. Ein paar der Stoffballen brannten sogar noch, andere qualmten nur. Nesrin musste husten.
Etwa dreißig Männer der Palastwache und der Großwesir bewegten sich zwischen alldem, untersuchten Leichen und Ladung nach Hinweisen, die Sand und Asche längst zugeweht hatten. Sayed war gekleidet wie die Palastwache, die anders als zuvor beigefarbene Hosen, Hemden und Turbane trug, vom Wüstensand kaum zu unterscheiden. Die losen Enden der Turbane waren so um den Kopf geschlungen, dass sie nur das Gesicht frei ließen. Bei einigen nur die Augen. Dolche und Säbel steckten in braunen Ledergürteln. Die meisten Palastkrieger hatten Pfeilköcher und Bögen auf ihre Rücken geschnallt. Im Vorbeiflug erkannte Kiana, dass mindestens fünf der Krieger Frauen waren, genauso gewandet und bewaffnet wie die Männer.
Sayed sah auf, als Nesrin und Kiana vor ihm in Brusthöhe zum Stehen kamen. „Was tut ihr denn hier?“, donnerte seine sonst so wohlwollende Stimme. „Fliegt sofort zum Palast zurück!“
„Ich finde, Kiana sollte sehen, wozu Damon fähig ist“ , erwiderte Nesrin, wenn auch deutlich kleinlauter als vorhin bei
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