Goldfalke (German Edition)
Zukunft ganz vergessen. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Mein Onkel verhandelt momentan mit seinem Geschäftsfreund darüber, ob die Verlobung überhaupt zustande kommt.“ Oder war die Besprechung schon zu Ende? War ihre Zukunft schon entschieden? Und sie war nicht da, um sie anzutreten. Andererseits wartete hier in dieser Welt vielleicht ihre Mutter auf sie.
Die Arme des Dichters öffnete n sich zu einer einladenden Geste. „Berichte weiter, teure Freundin! Was für eine Art Mensch ist dein Verlobter? Wie habt ihr euch kennen, wie euch lieben gelernt?“
Das erinnerte auffallend an das Gespräch, das sie b ereits mit Nesrin darüber geführt hatte. „Ich kenne ihn nur flüchtig vom Sehen. Da mein Onkel und meine Tante ihn ausgewählt haben, nehme ich an, er ist ein anständiger Mensch und kann eine Familie ernähren.“ Oder sie wollten Kiana nur loswerden, egal an wen. Doch das verschwieg sie lieber.
„Dann stimmt es also, was Fatima behauptet.“ Tahiramis schnaubte abfällig. „Die Mädchen der Trüben Welt werden nach wie vor an Männer verschachert, die sie gar nicht kennen. Tragt ihr noch immer diese beweglichen Stoffkerker? Wie nennt ihr sie: Burka?“
Kiana wurde unsicher, weil sie nur zu genau wusste, wie die Menschen dieser magischen Welt darüber dachten. „Mein Onkel besteht da rauf.“
Die Kriegerin hatte offenbar Blut geleckt: „Und seine Frau macht das einfach so mit und zwingt auch dich dazu?“
Fast gegen ihren Willen nahm Kiana für Tante Shabnam Partei: „Sie sagt, es ist nur zu me inem Schutz. Die Burka schützt mich vor den triebhaften Blicken der Männer.“ Unwillkürlich schaute sie auf den schamlos tiefen Ausschnitt der Kriegerin.
„Die wirkliche Ursache davon ist Misstrauen“, meinte Tahiramis. „Jedem Mann wird unterstellt, sofort die Frau seines Nachbarn ins nächste Bett zerren zu wollen, kaum dass er sie als Frau wahrnimmt und nicht als wandelndes Stoffzelt. Gleichzeitig unterstellt jeder Mann aber auch seiner Frau, ihn sofort mit dem Nächstbesten betrügen zu wollen, der sie halbwegs annehmbar findet. Was ist das für eine Gesellschaft, die sich auf ein so tiefes Misstrauen gründet?“
„Ich als Mann fühle mich durch ein solches Misstrauen beleidigt“, meinte der reich gekleidete Schwarze. „Sind die Männer der Trüben Welt wirklich derart primitiv, dass sie beim bloßen Anblick von Frauenhaar nur noch mit ihrem Gemächt denken können?“
Ja, Tante Shabnam war durchaus dieser Meinung. Doch um die anwesenden Männer nicht zu erzürnen, schwieg Kiana.
D afür ergriff Tahiramis erneut das Wort: „Wie können die Frauen der Trüben Welt es zulassen, von ihren Männern, ihren Regierungen und ihrer Religion als minderwertig abgetan zu werden? Kennen diese Frauen keine Selbstachtung? Keine Ehre? Haben sie vergessen, dass in den Ländern, in denen sie jetzt wie Vieh behandelt werden, einst starke Kriegerinnen fochten, weise Priesterinnen lehrten und mächtige Königinnen herrschten? Arabische Herrscherinnen wie Samsi, Tabua, Te’elhunu, Yapa’, Bazlu, Zabibie und Yati’e. Sie regierten zu einer Zeit, als die Trübe Welt noch nicht so trübe war. Als die Frauen auch dort aufrecht gingen und sich nicht mit Stoff zuhängten und das Gesicht nehmen ließen. Diese Frauen der alten Zeit würden spucken auf ihre weiblichen Nachfahren.“
„Dennoch waren auch dereinst die Herrscher zumeist männlich“, knur rte Kemal.
Tahiramis funkelte ihn böse an . „Es geht nicht um die Zahl, sondern um die Möglichkeit. Sag, Kiana, warum entehren die Frauen der Trüben Welt ihre stolzen Ahninnen, indem sie sich entmündigen lassen?“
Darau f wusste Kiana nichts zu sagen. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, dass es so etwas wie stolze Ahninnen überhaupt gegeben hatte. Kiana hatte oft geächzt unter all den Vorschriften, die der Onkel und die Tante auf sie und Madina gestülpt hatten. Kiana hatte versucht, ihren engen Spielraum zu dehnen. Und diese Aufsässigkeit war stets hart bestraft worden. Sie hatte das alles nie wirklich in Frage gestellt. Es war ihr einfach zu vertraut gewesen, um es zu hinterfragen. Jetzt aber, inmitten dieser Klaren Welt voller aufrechter Frauen, schämte sie sich dafür.
Ungewollt kam ihr das Gespräch in den Sinn, das ihre Tante einmal mit einer neu zugezog enen Nachbarin geführt hatte. Auf die Frage, wie viele Kinder sie hätte, hatte Tante Shabnam „Ich habe ein Kind“ geantwortet und dann mit einer wegwerfenden Handbewegung hinzugefügt:
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