Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
spät: Unsere Unterkunft ist von Tausenden Chololla-Kriegern umzingelt! Zusammen mit unserem Herrn und seinen Vertrauten, mit Marina und Carlita stehe ich auf dem flachen Dach unseres Palastes und schaue hinab auf den großen Tempelplatz. Der Abend dämmert schon. Überall dort, wo eine Straße in den Platz einmündet, haben die Chololla Feuer angezündet. So ist klar und deutlich zu sehen, dass sämtliche Straßen durch Fallgruben und Sperren blockiert worden sind. Auf den Dächern der Bauwerke um uns herum liegen gewaltige Steinmengen aufgehäuft – und neben jedem Steinhaufen kauern Indianer, bereit, uns mit einem Steinhagel zu empfangen, sobald wir uns ins Freie wagen.
    Dafür, dass wir uns hier drinnen nicht mehr lange verschanzen können, sollen offenbar die Krieger sorgen, die den innersten Ring um unsere Behausung bilden. Ihre Gesichter sind furchterregend bemalt. Jeder von ihnen hält eine lodernde Fackel in der Hand – und zweifellos warten sie nur noch auf den Befehl ihrer Anführer, unseren Palast von allen Seiten gleichzeitig in Brand zu setzen!
    Ach, Carlita, klage ich mich im Stillen an, warum habe ich deine Warnungen nicht ernster genommen? Und weshalb habe ich Cortés nur einen kleinen Teil von all den grässlichen Dingen berichtet, die sie mir in den zurückliegenden Monaten anvertraut hat? Weil ich sie schützen wollte? Das natürlich auch. Aber ebenso aus einem weniger ehrenhaften Grund: weil auch ich unbedingt nach Tenochtitlan will – koste es, was es wolle!
    Das Gold, das Montezuma angeblich in seinen Palästen hortet, lässt mich nach wie vor kalt. Aber schon bei der bloßen Vorstellung, dass wir unverrichteter Dinge umkehren könnten, ohne auch nur einen Fuß in das »goldene Herz« des Aztekenreichs gesetzt zu haben, wird mir ganz elend zumute. So als wäre ich nicht nur vom Hof meines Vaters und aus meiner alten Heimat vertrieben, sondern nun auch noch aus der Neuen Welt verstoßenworden. Lieber würde ich sterben, als jetzt noch den Rückzug anzutreten, so kurz vor dem Ziel!
    Und so habe ich unserem Herrn zwar größtenteils getreulich berichtet, was Carlita mir in den letzten Wochen offenbart hat. Doch gleichzeitig habe ich ihre eigene Rolle bei jener unseligen »Ringelblumen-Verschwörung« nach Kräften heruntergespielt. Carlita stammt tatsächlich aus einer hochangesehenen Adelsfamilie in Tenochtitlan. Ihre Vorfahrinnen waren Hohepriesterinnen der damals noch mächtigen Göttin Xochiquetal – und Carlita sollte eines Tages, wenn sie erst alt genug dafür wäre, selbst zur höchsten Priesterin der gütigen Mond- und Liebesgöttin geweiht werden! Die Verschwörerinnen wollten den alten Kult um Xochiquetal wiederbeleben und sie zur mächtigsten Gottheit neben ihrem Bruder Quetzalcoatl erheben. Alle Völker und Stämme würden ihr zujubeln, davon waren sie überzeugt – doch bevor es so weit kommen konnte, wurden die Verschwörerinnen verraten und Montezuma sandte seine Zauberer aus.
    Wenn Cortés wüsste, welche Rolle Carlita damals tatsächlich spielte, dann wäre ihm auch schlagartig klar, dass sie mit den verborgensten Verhältnissen von Tenochtitlan vertraut sein muss. Nicht nur mit Götterriten und Priesterkulten, sondern auch mit Schatzverstecken und geheimen Verbindungswegen, die sich wie ein Spinnennetz durch die ganze Stadt ziehen. Und wenn er gar von jenem Ort äußersten Grauens wüsste, dem Menschentierhaus , wie Carlita diese Stätte genannt hat – ich glaube, selbst unser Herr würde zögern, weiter nach Tenochtitlan zu marschieren. Das Menschentierhaus ist ein Ort, wie ihn wohl wirklich nur der Teufel ersinnen kann. Und doch muss ich schweigen, es geht nicht anders!
    Denn trotz allem, was ihr selbst, ihrer Familie und ihren Gefährtinnen in Tenochtitlan angetan wurde, ist Carlita nicht bereit, ihr eigenes Volk an uns, die bleichhäutigen Eindringlinge, zu verraten. Das hat sie mir mehr als einmal mit Tränen in den Augenversichert. Deshalb muss ich unserem Herrn verschweigen, wer Carlita wirklich ist! Er würde nicht zögern, ihr durch »gestrenge Befragung« die Zunge zu lösen – Carlita oder wem auch immer, wenn er sie anders nicht zum Sprechen bringen kann. Dahin darf ich es auf keinen Fall kommen lassen – obwohl ich so abermals zum Verräter werde, zum Verräter an Cortés.
    Gestern, als die Stimmung der Krieger draußen auf dem Platz immer feindseliger wurde, ließ Cortés zwei Chololla-Priester aus einem benachbarten Götzentempel ergreifen und durch Fray

Weitere Kostenlose Bücher