Goldfieber
beschwor – und bei allem, was mir heilig ist: Ich spürte, dass er im Recht war! Was wir getan hatten, war Unrecht! Schreckliches Unrecht, an das ich auch jetzt noch nicht denken kann, ohne mich innerlich zusammenzukrümmen vor Reue, vor Scham und Schmerz!
Zu allem Überfluss hatten wir nun auch noch den Rachedurst der Tlaxcalteken angestachelt. Mit nervenzerfetzendem Geschrei stürmten sie den Berg herauf, und unsere Männer drängten sich bei der Kapelle »Vitoria« zusammen wie eine Hühnerschar, in deren Gehege der Fuchs eingedrungen ist. Der ganze Berghangwar schwarz vor schreienden, hüpfenden, Speere und Schwerter schwingenden Indianern. »Wir sind verloren!«, riefen unsere Männer aus. »Heilige Muttergottes, hab Erbarmen!«, jammerten sie und schüttelten sich gegenseitig die Hände, als ginge es nun endgültig ans Abschiednehmen.
Doch Cortés und seine Vertrauten hatten wieder einmal alles vorausbedacht. Sie gaben den Artilleristen die vorher ausgemachten Zeichen, und unsere drei Kanonen donnerten kurz nacheinander los und richteten schreckliche Verheerungen unter den Angreifern an. Die Geschütze waren mit Steinkugeln geladen, und die Splitter jeder Kugel reichten aus, um Dutzende Menschen zu durchbohren, wenn sie nur dicht genug zusammengedrängt waren. Während die Tlaxcalteken noch dabei waren, ihre Toten und Verletzten in Sicherheit zu bringen, gab Sandoval den Gewehrschützen ein Zeichen. Es krachte und donnerte aus fünfzehn Hakenbüchsen und wieder wurden zahlreiche Indianer verwundet oder getötet. Alle anderen rannten und schrien durcheinander.
Ihre Kriegerehre verbot den Indianern nicht nur, wehrlose Bauernfamilien abzuschlachten oder einen Gegner im Schutz der Dunkelheit zu überfallen. Dieselbe Ehre gebot ihnen auch, sich Reihe um Reihe hintereinander aufzustellen und immer erst dann anzugreifen, wenn die Linie der Krieger vor ihnen von unseren Waffen niedergemäht worden war. So zumindest hatte es uns Mamexi erklärt und die Tlaxcalteken hielten es in diesen Dingen offenbar genauso wie die Totonaken. Die Ehre verbot ihnen sogar, mit Pfeilen und Speeren aus der Entfernung anzugreifen statt im ritterlichen Nahkampf mit dem Schwert. Und da sie ihre Gegner möglichst nicht auf dem Schlachtfeld töten, sondern gefangennehmen und ihren Opferpriestern bringen wollten, hielten wir auch an jenem Tag ihrem erbitterten Angriff stand. In der Abenddämmerung zogen sie sich endlich wieder zurück. Hunderte oder sogar Tausende von ihnen waren getötet worden und doch fühlte sich wohl niemand von uns wie ein Sieger.
Wir waren am Ende unserer Kräfte. Ohne unsere tapferen totonakischen Verbündeten hätten wir gewiss nicht so lange standgehalten und auch die Totonaken hatten mehr als Hundert Krieger verloren. Zwei Drittel unserer Männer waren mehr oder weniger schwer verwundet. Fast alle litten an jenem Fieber, gegen das die Arzneien von Wundarzt Jeminez nur wenig auszurichten vermochten. Auch Cortés wurde nach diesem Tag voll düsterer Ereignisse von dem Fieber befallen, das den Körper des Erkrankten glühen lässt und mit Schüttelfrost peinigt.
Eine weitere Schlacht wie die heutige, das war uns allen klar, würden wir nicht überstehen. Und gerade jetzt lag unser Anführer krank danieder! Die Männer wurden immer unruhiger. Und es waren längst nicht mehr nur die Velazquez-Getreuen, die Cortés die Gefolgschaft aufzukündigen drohten. Viele Konquistadoren hatten auf Kuba, Hispaniola oder zu Hause in Spanien Frau und Kinder, Haus und Hof. Sie waren aus Abenteuerlust mit uns losgezogen und natürlich in der Hoffnung, reich zu werden. Nun aber war aus dem Abenteuer ein Krieg gegen eine zweihundertfache Übermacht geworden. Und in Tenochtitlan mochten die Dächer und Teller und was sonst noch alles aus reinem Gold sein – doch Montezuma gebot über Hunderttausende oder sogar Millionen von Kriegern! War es da nicht höchste Zeit zum Rückzug, so fragten sich unsere Männer – solange sie noch Beine und Füße besaßen, auf denen sie davonrennen konnten?
Währenddessen lag Cortés fiebernd in seinem Zelt, allem Anschein nach in tiefem Schlaf. Und am nächsten Morgen, ehe der Himmel sich auch nur felsgrau färbte, war er wieder auf den Beinen und rief seine treuesten Gefolgsleute zu sich, darunter auch Marina. »Ich weiß genau, was ihr denkt«, sagte er, »aber wir können nicht zurück. Wir werden nach Tenochtitlan gelangen oder auf dem Weg dorthin sterben. Doch seid unbesorgt, ich hatte letzte
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