Goldfieber
ganz recht so. Wir liegen in unseren Kojen, in dem Verschlag vor Cortés’ Kajüte, und ich verschränke die Hände hinter meinem Kopf und schließe die Augen.
Ich muss nachdenken. Was war das eigentlich, frage ich mich, was wir heute erlebt haben? Haben wirklich wir die Indianer überrumpelt – oder waren nicht im Gegenteil sie es, die uns überlistet haben?
Ergründe ihre Herzen!, befehle ich mir. Wie werden die Indianer wohl einschätzen, was heute passiert ist? Zweihundert überlegen bewaffnete Männer sind in ihr Allerheiligstes vorgedrungen – doch sie haben es geschafft, uns wieder zum Abzug zu bewegen. Dabei haben sie nicht einen Krieger verloren und es schlau vermieden, uns mit offener Feindseligkeit zu begegnen. Den Verlust ihrer Götzenbilder können sie gewiss verschmerzen – zumal sie dafür den Altar und die Madonna zurückbehalten haben. Und vielleicht ist Häuptling Aak-ek sogar froh, dass er seinen Schwiegersohn, den falschen Indianer Angemalte Schildkröte, wieder los ist?
Von ihrem Gold, überlege ich weiter, haben wir nur ein paar Krümel erbeutet. Dagegen haben es die Indianer verstanden, aus unserer Goldgier eine Waffe zu schmieden – eine Waffe gegen ihre Feinde im Norden, in der angeblich so goldreichen Stadt Potonchan.
Diego hat schon recht, sage ich mir schließlich, diese Indianer sind unglaublich leicht zu beeindrucken! Doch ich ahne, dass ihre Herzen wie der Strand vor ihrer Bucht sind, die Grijalva »Ersehnter Hafen« getauft hat: Jeder Fußtritt drückt sich dort in den Sand ein, aber nicht lange, dann haben Wind und Wellen alle Spuren wieder verwischt.
ZWEITES KAPITEL
Bringt mir sieben Körbe voll
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»Besinnt Euch auf Euren Auftrag, Caudillo – ich flehe Euch an!« Mit diesen Worten versucht Francisco de Morla, unseren Herrn von seinen Plänen abzubringen. Dabei müsste er so gut wie jeder andere wissen, dass sich Cortés von einmal gefassten Entschlüssen unter keinen Umständen abbringen lässt.
Nach eintägiger Schiffsfahrt in Sichtweite der Küste sind wir gestern Abend hier vor Anker gegangen, in einer kleinen Bucht unweit der Mündung des Tabasco-Stroms. Die Sonne steht noch tief am Himmel und doch ist es schon wieder stechend heiß. Wenige Meilen flussaufwärts soll die Indianerstadt Potonchan liegen, dessen Herrscher angeblich gewaltige Goldschätze hortet. Jedenfalls hat Häuptling Aak-ek das behauptet.
»Nur die Umrisse der Inseln Yucatan und Don Juan sollen wir erforschen und von Indianern, die an der Küste siedeln, so viel Gold eintauschen, wie wir auf friedlichem Weg erlangen können!«, fährt Morla in dringlichem Tonfall fort. »Aber Gouverneur Velazquez hat uns strikt verboten, ins Landesinnere vorzudringen – das alles wisst Ihr so gut wie ich!«
Morla hat sich eigens von seiner Karavelle zu uns herüberrudern lassen, um mit Cortés zu sprechen. Wir befinden uns noch an Bord der Santa Maria , doch die Beiboote sind bereits zu Wasser gelassen und zum Besteigen bereit.
Hernán Cortés sieht ihn mindestens eine halbe Minute lang schweigend an. Ungeachtet der Hitze trägt er wieder seinen Samtumhang und den federgeschmückten Hut. »Du verstehst überhaupt nichts, Francisco«, sagt er schließlich. »Aber das wird sich ändern – heute noch. Du übernimmst das Kommando der einen Brigantine, Sandoval das der anderen. Los geht’s!«
Das Blut schießt Morla in die Wangen. Er ist ein Neffe von Gouverneur Velazquez und so blond und hellhäutig wie sein Onkel, wenn auch von weniger massiger Gestalt. Seine Augen werden schmal, seine Kiefer beginnen zu mahlen. Aber er ist klug genug, kein weiteres Widerwort zu wagen.
Als Caudillo besitzt Cortés die oberste Befehlsgewalt über die gesamte Expedition. Damit ist er zugleich unser Richter und kann jeden Mann, der sich seinem Kommando widersetzt, nach spanischem Recht aburteilen – bis hin zur Todesstrafe.
»Wie Ihr befehlt, Commandante «, presst Morla hervor und wendet sich ab.
Von Anfang an hat Morla wenig Zweifel daran gelassen, dass er unserem Anführer misstraut. Noch auf Kuba, kurz bevor wir in See stachen, versuchte der Gouverneur, Cortés das Kommando über die Expedition wieder zu entziehen. Anscheinend war ihm klar geworden, dass sich sein einstiger Sekretär nicht an seine Instruktionen halten würde – oder jedenfalls nur so lange, wie sie seinen Plänen nicht zuwiderliefen. Doch Cortés bewies einmal mehr seine unheimliche Überzeugungskraft: Er hielt den Häschern, die Velazquez ausgesandt
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