Goldfieber
es ihnen!«, befiehlt er und versetzt Melchorejo einen Stoß.
Die Indianer unten im Kanu hören sich mit ausdruckslosen Gesichtern an, was unser Dolmetscher zu ihnen herunterstottert. Als Melchorejo zu Ende gesprochen hat, verzieht der Indianer mit dem prächtigsten Federschmuck sein Gesicht zu einer argwöhnischen Grimasse.
»Truthahn, Maisfladen und sonst nichts?«, wiederholt er in ungläubigem Tonfall.
Cortés nickt ihm mit feierlicher Miene zu.
Die Indianer beraten sich murmelnd. »Zwei Meilen flussaufwärts liegt Potonchan«, sagt ihr Sprecher schließlich. »Macht eure Boote am linken Ufer fest und verbringt dort die Nacht. Wenn ihr euch morgen bei Sonnenaufgang auf dem Platz vor unserer Stadt versammelt, sollt ihr die gewünschte Nahrung bekommen.«
Er stößt die zur Faust geballte Rechte in die Luft und schaut grimmig zu unserem Herrn hinauf.
»Aber wagt es nicht, Potonchan zu betreten oder irgendetwasan euch zu nehmen, das euch nicht gehört«, fügt er hinzu, nachdem Melchorejo fertig übersetzt hat. »Jeder bleichhäutige Fremde, den wir in unserer Stadt aufgreifen, wird den Göttern geopfert!«
Er stößt erneut seine Faust in die Luft. Diesmal folgen alle anderen Indianer im Kanu seinem Beispiel. Aus zwölf Kehlen erklingt ein trillernder Schrei, der mir noch in den Ohren gellt, als das Kanu bereits wieder über den Strom jagt und in einem der Gräben im Uferschilf verschwindet.
- 2 -
»Wir haben genug Proviant für mindestens acht Tage«, sagt Morla, nachdem wir schon eine ganze Weile weiter stromaufwärts gesegelt sind. »Allein in unserem Frachtschiff lagern noch fast tausend Rationen Maniokwurzelbrot und mehr als doppelt so viele Rationen Dörrfleisch«, fährt er fort. »Also lasst uns umkehren, Caudillo – diesen Wilden ist nicht zu trauen! Und nach den Instruktionen, die Euch Gouverneur Velazquez erteilt hat …«
Er unterbricht sich mitten im Satz. Sein Unterkiefer klappt herunter, seine Augen werden groß und starr. Ich folge seinem Blick und schaue zum rechten Flussufer hinüber. Unvermittelt endet dort der Urwald und macht einer vollkommen kahlen Fläche von gewaltiger Ausdehnung Platz. Einem natürlichen Felsplateau, denke ich zuerst, aber dann erkenne ich, dass der gesamte Platz mit jenem gehärteten Stuck überzogen ist, den die Indianer auch für ihre Straßen verwenden. Er misst mindestens dreihundert Schritte in der Breite und zweihundert in der Tiefe, und was sich dahinter erhebt, kommt mir noch tausendmal wundersamer vor. Eine Stadt von so unglaublicher Pracht und Größe, mit hoch in den Himmel emporragenden Türmen und Pyramiden, dass ich mich fühle wie in einem Traum oder in einem Abenteuerroman.
Aber das hier ist kein Traum. Und es ist auch keine Fantasiewelt aus einem Ritterroman, sage ich mir – was sich da am Uferzu unserer Rechten unabsehbar weit erstreckt, muss die Maya-Stadt Potonchan sein. Eine breite Allee, gesäumt von baumartigen Steinskulpturen, verläuft über den Platz, geradewegs auf einen gewaltigen Torturm zu. Vor einer halben Stunde noch, als der Indianer aus dem Kanu behauptet hat, ihr Herrscher könne fünftausend Krieger aufbieten, da kam mir das wie eine prahlerische Übertreibung vor. Aber in der Stadt da drüben, sage ich mir jetzt, müssen mindestens zwanzig- oder dreißigtausend Menschen wohnen – also wird es dort bestimmt auch fünftausend Männer geben, die in der Kriegskunst geübt sind. Und wenn sie auch nur einen Einzigen von uns gefangen nehmen und ihren Göttern in der vorgeschriebenen Weise opfern, dann setzt sich der Teufel persönlich an ihre Spitze und macht uns mit einem grauenvollen Vernichtungszauber nieder.
Ich meine schon zu spüren, wie die Verzagtheit Grijalvas auf mich überspringen will. Doch ich schüttele mich, um die düsteren Gedanken loszuwerden – und mehr noch, weil mich ein Frösteln überläuft.
»Was ist denn mit dir los?«, fragt Diego und schaut mich von der Seite spöttisch an. »Dir ist doch nicht etwa kalt?«
Ich lache ihm ins Gesicht, so unbekümmert ich das nur hinbekommen kann. »Bei der Hitze?«, rufe ich aus. »Wie soll das denn gehen, Dummkopf?«
Bevor er mir irgendetwas antworten kann, wende ich mich ab und starre aufs Neue zur Indianerstadt hinüber.
»Wir gehen vor Anker«, befiehlt Cortés. »Am linken Flussufer, wie von unseren neuen Freunden gewünscht.« Er fährt sich mit der flachen Hand über das Gesicht, als hätte auch er Mühe, seinen Augen zu trauen. Die Pyramiden und Türme sind
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