Goldfieber
und mit nochmals fast zweihundert Kämpfern drangen Alvarado, Avila und Sandoval von Süden her zum Stadtzentrum vor. Auf dem großen Tempelplatz kam es dann zur Schlacht, bei der Hunderte Indianer getötet oder verwundet und gefangen genommen wurden.
»Wir verstanden zuerst gar nicht, warum sie sich so ungeschickt anstellten«, erzählt Diego und seine Augen leuchten vor Begeisterung. »Mit ihren gezähnten Knüppeln oder auch mit ihren Speeren und Spießen hätten sie uns genauso tödliche Verwundungen beibringen können, wie wir das bei ihnen gemacht haben. Aber dann hat Sandoval ausgerufen: ›Männer, wisst ihr was? Sie wollen uns gar nicht töten! Sie wollen uns nur verwunden und gefangen nehmen – töten dürfen nur ihre Priester!‹ Und ganz genauso war es auch«, redet Diego weiter, »sie spießten sich geradezu auf unsere Schwerter auf bei dem Versuch, einen von uns kampfunfähig zu machen und zu ihren Tempeln zu schleppen. Deshalb konnte jeder von uns es mit acht oder sogar zehn von ihnen aufnehmen – wie der Rasende Roland im Ritterroman!«
»Langsam, Diego«, sage ich und hebe eine Hand. »Du sagst die ganze Zeit wir und uns – heißt das etwa, dass du an diesen Kämpfen teilgenommen hast?«
Er sackt ein bisschen in sich zusammen. »Ich musste die ganzeZeit an Portocarreros Seite bleiben«, murmelt er. »Nachdem sie dich bewusstlos und mit blutendem Kopf unter dem toten Indianer hervorgezogen hatten, wollten sie wohl auf keinen Fall riskieren, dass auch noch Cortés’ zweiter Page aus den Stiefeln kippt. Und jedes Mal, wenn ich mit meinem Kurzschwert einen Indianer angreifen wollte, hatte der ›Dröhnende‹ ihn schon umgehauen – und gleich noch zwei oder drei weitere dazu.«
Diese letzten Sätze von Diego bekomme ich kaum mehr mit. »Tot …«, murmele ich und mein Mund fühlt sich mit einem Mal staubtrocken an. »Hast du eben gesagt, dass auch der Indianer, der mich verfolgt hat, tot ist?«
»So tot, wie man nur sein kann«, bestätigt Diego. »Du musst ihm diesen Mauerbrocken mit voller Kraft auf den Kopf gehauen haben. Sein Schädel war zerplatzt, und was darin …«
»Ist schon gut, ist ja schon gut«, unterbreche ich ihn erneut. »Verschone mich mit blutigen Einzelheiten!«, fahre ich fort. »Oder willst du, dass ich dir auf die Füße kotze?«
»Das lass mal besser sein«, empfiehlt mir Diego und grinst mich ungerührt an. »Sonst bringen sie dich in die Halle gegenüber – zu den rund hundert Mann, die gestern nach der Schlacht fauliges Wasser getrunken haben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es da drüben zugeht.«
»Vor allem will ich es mir nicht vorstellen«, sage ich und werde von einem eisigen Schauder durchgeschüttelt. Ich werfe einen raschen Blick zu der Säulengalerie, aber das Bauwerk gegenüber ist glücklicherweise zu weit entfernt. Außer einer Treppe und einer weiteren Säulengalerie darüber kann ich von hier aus nichts erkennen.
Doch mit meinen Gedanken bin ich sowieso immer noch bei meinem seltsamen Kampf mit dem Indianer. »Ein Mauerbrocken«, murmele ich. »Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, wie ich von hinten diesen grässlichen Schlag auf den Kopf bekommen habe. Aber sonst …«
Ich unterbreche mich mitten im Satz. Auf einmal sehe ich das Mädchen wieder vor mir, die braune, halb vom Dunkel verschluckte Gestalt. Wie sie in dem schmalen Durchlass in der Hauswand stand und mir mit ihren Augen ein Zeichen machte, dass ich weitergehen soll …
»Hey, Orte, was ist los?«, ruft Diego. Er hat mich bei den Schultern gepackt und schüttelt mich nicht gerade sanft hin und her. »Verlierst du jetzt wieder das Bewusstsein, oder was?«
»Ganz im Gegenteil«, murmele ich.
Mir ist nämlich gerade klar geworden, dass niemand anderes als das Mädchen den Steinbrocken auf den Kopf meines Verfolgers gehauen haben kann. Jetzt sehe ich sogar vor mir, wie sich alles abgespielt haben muss. Er zog mir seinen Knüppel über, ich ging zu Boden, und wahrscheinlich kauerte er sich dann neben mich, um nachzusehen, ob ich noch lebte. Als Nächstes hätte er mich zweifellos zu einem Götzentempel geschleppt, um mich dem Teufel opfern zu lassen. Aber dann kam das Mädchen aus seinem Versteck hervor und schlug ihm den Steinbrocken auf den Kopf.
Sie muss ungeheuer stark sein, sage ich mir, und ein Grinsen zieht meinen Mund auseinander. So stark wie eine Amazone …
»Was ist denn jetzt schon wieder los?«, fragt mich Diego. »Erst starrst du so glasig vor
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