Goldfieber
wiedersehen.
Ich lasse den Kopf hängen und grüble vor mich hin, bis mich Diego mit dem Ellbogen anstößt. »He, Orte«, raunt er mir zu, »was soll das denn jetzt?«
- 3 -
Ich hebe meinen Kopf und schaue zu Cortés und seinen Vertrauten hinüber. Sie stehen auf einer kleinen Felsplattform mitten in der Senke wie auf einer natürlichen Bühne. Außer dem »Tollkühnen«, dem »Durchtriebenen« und dem »Dröhnenden« entdecke ich auch die knochige Gestalt von Notar Gutierrez – mir war bisher gar nicht aufgefallen, dass er mit uns die Küste entlanggewandert ist. Gutierrez trägt seine nahezu bodenlange Robe, und im ersten Moment glaube ich, dass er einmal mehr das Requerimiento verlesen wird. Aber dann wird mir klar, dass der in schwarzes Leder gebundene Foliant nicht wie sonst bei solchen Anlässen unter seinem Arm klemmt.
»Commandante Cortés!«, ruft Alvarado gerade eben mit schallender Stimme aus. »Ich wurde von einer Vielzahl redlicher Männer aus Eurem Gefolge beauftragt, an diesem Ort und zu dieser Stunde die Gründung der Stadt Villa Rica de la Vera Cruz einzuleiten. Ich fordere Euch auf, mir die Instruktionen auszuhändigen, die Ihr von Gouverneur Velazquez erhalten habt. Ich will Euch und allen Anwesenden darlegen, dass und inwiefern wir berechtigt sind, die Stadt Vera Cruz in vollkommener Übereinstimmung mit Euren Instruktionen und den allgemeinen spanischen Rechtsgrundsätzen hier auf dem Boden Neuspaniens zu gründen.«
Cortés gibt sich redlich Mühe, überrumpelt dreinzuschauen. Doch seine Gesichtsmuskeln bringen nur ein seltsames Zucken zustande. Er fährt mit beiden Händen unter seinen Umhang und zieht eine Papierrolle hervor, die mit einer roten Siegelschnur umwunden ist.
»Da ich die Instruktionen stets an meinem Herzen trage …« Er unterbricht sich mitten im Satz, macht einen Schritt auf Alvarado zu und reicht ihm mit weit ausgestrecktem Arm die Papierrolle.
Der »Durchtriebene« löst den Knoten, entfernt die Siegelschnur und entrollt die in Cortés’ eigener Handschrift säuberlich beschrifteten Blätter. Er überfliegt Absatz um Absatz und ichschaue ihm so gebannt wie alle anderen dabei zu. In jedem von uns steigt mit einem Mal eine ganz und gar verrückte Hoffnung auf – dass Alvarado in den Instruktionen einen Paragraphen finden wird, der es uns doch noch erlaubt, die Stadt Villa Rica de la Vera Cruz zu gründen, ohne dadurch ein todeswürdiges Verbrechen zu begehen. Doch wenn es diesen Paragraphen gäbe, müsste ihn Cortés dann nicht lange vorher entdeckt haben?
Portocarrero und Sandoval stehen jetzt nahe bei Alvarado und spähen ihm über die Schultern. »Aus dem Gekrakel mag der Teufel schlau werden!«, schreit der »Dröhnende«.
Noch ehe sein Geschrei gänzlich verhallt ist, hebt Alvarado eine Hand und sagt: »Hier ist es.«
Wir alle vergessen zu atmen. Carlita, denke ich – vielleicht werden unsere Herzen ja doch nicht schon morgen oder übermorgen für immer auseinandergerissen! Vielleicht steht ja in den Instruktionen doch dieser rettende Satz, den Cortés nur aus irgendeinem Grund übersehen hat. Mein Verstand weiß genau, dass es nicht sein kann. Aber mein Herz antwortet unbeirrbar: Du wirst schon sehen.
»Hier!«, wiederholt Alvarado und hackt mit der Fingerspitze auf dem Papier herum, das Sandoval vor ihm ausgespannt hält. »Seht ihr das? Falls jedoch Umstände eintreten sollten, die in dieser Instruktion nicht ausdrücklich berücksichtigt worden sind, so ist der Unterzeichnete dieser Instruktionen berechtigt und verpflichtet, im Geist der vorliegenden Bestimmungen, im Interesse der spanischen Krone und auf der Grundlage spanischen Rechts zu verfahren .«
Alvarado reißt die Arme hoch wie ein Feldherr nach gewonnener Schlacht. »Das hier sind besondere Umstände, wenn es jemals welche gegeben hat!«, ruft er aus. »Was könnte mehr im Interesse des Königs sein als die Gründung von Villa Rica de la Vera Cruz? Ich fordere euch alle auf, Caballeros: Lasst uns die Stadt gründen und uneinnehmbar befestigen! Wenn wir einfach so abziehenwürden, hätten die Indianer Zeit genug, um Verteidigungsmaßnahmen zu treffen, und die nächste Expedition könnte an dieser Küste nicht einmal mehr unbehelligt landen!«
Cortés steht noch immer zwei Schritte abseits von den Männern, die er bis zu dieser Stunde als seine engsten Vertrauten angesehen hat. Er wirkt angespannt und keineswegs zufrieden, und mit einem Mal überkommen mich Zweifel: Vielleicht haben sie ihn ja
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