Goldfinger
abschwellender Radioton und über allem das leise Singen der Ventilation. Wie ein Schlachtschiff im Hafen, dachte Bond.
Der Archivmann erwartete ihn im Projektionsraum am Bedienungspult des Identicast. »Die Hauptzüge, bitte. Ich kann dann alles ausscheiden, was nicht in Frage kommt.«
Bond beschrieb sie kurz, während er Platz nahm und das Lichtviereck an der Wand betrachtete.
Der Identicast, ein Apparat zur Gesichtsrekonstruktion aus dem Gedächtnis, arbeitete nach dem Prinzip der Laterna magica. Man projizierte verschiedene Kopfgroßen und -formen an die Wand. Was entsprach, blieb stehen. Dann kamen verschiedene Haarschnitte an die Reihe, hernach weitere Einzelheiten nach demselben Schema: Augen, Nase, Kinn, Mund, Augenbrauen, Wangen, Ohren. Schließlich erhielt man ein Gesamtbild, das sich mit der Erinnerung weitgehend deckte. Das Foto davon kam ins Archiv.
Es dauerte seine Zeit, Goldfingers ungewöhnliches Gesicht zusammenzusetzen, doch schien das Schwarzweißbild ähnlich. Bond diktierte noch ein paar Einzelheiten über Sonnenbräune, Haarfarbe und Blick, womit die Sache erledigt war. »Bei Nacht möchte ich dem ja nicht begegnen«, sagte der Archivmann. »Mit Dienstbeginn werd’ ich das Bild an die CID weitergeben. Mittags müßten Sie Bescheid haben.«
Bond fuhr wieder hinauf. Ein Stoß Nachrichten war noch zu sichten, der Nachtbericht abzufassen. Endlich war es acht Uhr. Bond rief die Kantine an und bestellte das Frühstück. Er war eben damit fertig, als das rote Telefon klingelte. Das war M! »Ja, Sir?«
»Kommen Sie auf einen Sprung zu mir, 007!«
Na, gut. Bond zog die Jacke an, strich sich durchs Haar, informierte die Vermittlung, nahm den Nachtbericht und fuhr in den Oberstock. Dort klopfte er an Ms Tür und trat ein.
»Nehmen Sie Platz, 007.« Das übliche Pfeifenanzünden. Angesichts dieser morgendlich-heiteren Seemannszüge über dem frischen Kragen wurde Bond sich seiner Übernächtigkeit doppelt bewußt. Er versuchte sich zu konzentrieren.
»Ruhige Nacht?« M sog an der Pfeife und musterte Bond.
»Ziemlich, Sir. Nur Station H -«
M wehrte ab. »Das steht im Bericht. Geben Sie her.«
Bond übergab die Geheimmappe, M legte sie weg. Dann, mit einer Andeutung seines selten gezeigten Lächelns: »Immer kommt es anders, 007: kein Nachtdienst mehr!«
Bonds Puls schlug rascher, wie schon so oft in diesem Zimmer. M hatte was für ihn! Aber er sagte: »War eben dabei, mich einzugewöhnen, Sir.«
»Natürlich. Dazu ist später Zeit. Ich habe eine komische Sache. Nicht ganz Ihre Linie, außer einem gewissen Aspekt, der« - M legte die Pfeife weg - »vielleicht gar keiner ist.«
Bond lehnte sich zurück und wartete.
»Ich speiste gestern mit dem Präsidenten der Bank von England zu Abend. Man hört da immer was Neues, zumindest für mich war es neu. ttema Gold
- aber die Kehrseite: Schmuggel, Fälschung und so weiter. Dachte gar nicht, daß man in der Bank von England soviel über Verbrecher weiß. Hängt wohl mit dem Währungsschutz zusammen.« Und mit fragend hochgezogenen Augenbrauen: »Verstehen Sie was von Gold?«
»Nein, Sir.«
»Heute nachmittag werden Sie was verstehen. Sie treffen da einen gewissen Colonel Smithers, sechzehn Uhr, Bankgebäude. Dieser Smithers leitet dort die Untersuchungsabteilung. Wie ich höre, ist das so eine Art Spionagesystem. Daß ich es erst seit gestern weiß, zeigt, wie abgedichtet voneinander wir arbeiten. Jedenfalls, Smithers und seine Burschen haben ein Auge auf alles Anrüchige in der Bankwelt, besonders was gewisse Machenschaften hinsichtlich Währung, Goldreserven und so weiter betrifft. Nun hat Smithers seit Jahren einen Verdacht, eigentlich mehr instinktiv und nur belegt durch gewisse Rückschlüsse. Es ist seit dem Krieg ein großer Goldschwund aus England zu verzeichnen, aber wie gesagt, Smithers’ Verdacht ist nicht recht zu belegen. Deshalb hat der Bankpräsident vom Premier die Erlaubnis eingeholt, uns beizuziehen.« M sah Bond fragend an. »Wer, meinen Sie, sind die reichsten Männer in England?«
Bond überlegte. Reiche Leute gab es ja genug. Aber wer von ihnen war wirklich liquid? Nur um etwas zu sagen, meinte er zögernd: »Nun, Sir, da wäre Sassoon, dann dieser undurchsichtige Reeder . . . Ellermann . . . Auch Lord Cowdray soll sehr reich sein . . . Dann all die Bankiers: die Rothschilds, die Barrings, die Hambros . . . Dann Williamson, der Diamantenmann, und Oppenheimer in Südafrika. Auch ein paar Herzöge dürften in Frage kommen.«
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