Goldgrube
Trasatti mit einer Serviette in der Hand die Tür auf. Er war groß und dünn und kahl wie eine Glühbirne. Er hatte eine große Nase, eine dicke Brille und ein ausgeprägtes Kinn. Sein Brustkorb war schmal und etwas eingesunken und ging in eine ausladende Taille über. Er trug ein weißes Hemd und eine Röhrenhose. Er sah mich stirnrunzelnd an und sah erstaunt auf die Uhr. »Sie haben neun Uhr gesagt.«
»Es ist neun Uhr.«
»Hier drauf ist es acht.« Er hielt sich die Uhr ans Ohr. »Mist. Kommen Sie rein. Sie haben mich beim Frühstück überrascht. Setzen Sie sich hierhin. Ich bin gleich wieder da. Möchten Sie Kaffee?«
»Nein, danke. Lassen Sie sich nur Zeit«, sagte ich.
Das Wohnzimmer war klein und perfekt eingerichtet, eher wie ein Sprechzimmer beim Arzt als ein Raum, in dem man sich entspannt. Das Mobiliar wirkte entfernt viktorianisch, obwohl es meinem ungeschulten Auge nicht echt erschien. Die Stühle waren mit geschnitzten Früchten verziert, und es gab drei Tische aus dunklem Holz mit Tischplatten aus rosageädertem Marmor. Auf einem davon lag ordentlich arrangiert eine Auswahl Kataloge von Sotheby’s. Der Teppich war aus kurzfloriger Wolle, blaßblau und umrandet von chinesischen Drachen und Chrysanthemen. In zwei Cloisonné-Vasen standen künstliche rosarote und blaue Blumen. Die schwere Uhr auf dem Kaminsims hatte einen Sekundenzeiger, der auf seinem Weg ums Zifferblatt vernehmlich klickte. Ich blätterte etwas gelangweilt einen Sotheby’s-Katalog durch, fand aber nichts Interessantes, abgesehen von einem Brief des Marquis de Sade, der für zweitausend Dollar angeboten wurde. Außerdem gab es einen hübschen kleinen Gruß von Erik Satie an Mme. Ravel mit »verzierten Rändern und einem Briefkopf in erhöhtem Blindrelief, der in Farbe zwei Hände vor einer Rose zeigt...«. Viel Gerede von » jolies fleurs « und » respectueusement «. Ganz meiner Meinung. Das sage ich auch immer.
Ich ging im Zimmer auf und ab und betrachtete mehrere gerahmte Briefe und Autographen. Laurence Sterne, Franz Liszt, William Henry Harrison, Jacob Broom (wer auch immer das war), Juan José Flores (dito). Ich entdeckte einen langen, unverständlichen Brief mit der Unterschrift S. T. Coleridge und eine Art Quittung oder Bestellformular, das von George Washington unterzeichnet war. Daneben hing ein anderer Brief, der in einer unleserlichen Handschrift verfaßt war und vom August 1710 datierte. Er strotzte von brauner Tinte und Durchstreichungen und sah zerknittert und fleckig aus. Wer hatte die Geistesgegenwart besessen, diesen ganzen Müll aufzuheben? Gab es damals Menschen, die in weiser Voraussicht die Mülltonnen durchwühlten?
Auf der anderen Seite des Flurs fiel mein Blick in einen Raum, der wohl ursprünglich als Eßzimmer gedacht, nun aber als Arbeitszimmer eingerichtet war. An jeder Wand standen Bücherregale, von denen sich manche über die Fenster zogen, was den Lichteinfall beträchtlich verringerte. Jede verfügbare Ablagefläche war mit Bücherstapeln bedeckt, einschließlich der Tische, Stühle und Fußböden. Eine Schreibmaschine konnte ich nirgends entdecken. Ich hatte zwar keinen Grund zu der Annahme, daß Trasatti etwas mit der Sache zu tun hatte, aber es wäre schön gewesen, wenn ein Puzzleteil von selbst an seinen Platz gefunden hätte. Die Luft roch nach altem Staub und Schimmel, Leim, vergilbtem Papier und Milben. Eine große Katze mit schildpattfarbenem Fell suchte sich vorsichtig den Weg über einen Schreibtisch, auf dem sich die Bücher türmten. Sie hatte nur einen Stummelschwanz und sah aus, als suchte sie nach einem Ort zum Pinkeln.
»Machen Sie sich mit dem Haus vertraut?« erklang es hinter mir. Ich zuckte zusammen und machte einen kleinen Satz.
»Ich habe diese riesige Katze bewundert«, sagte ich gelassen.
»Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Das ist Lady Chatterley.«
»Was ist denn mit ihrem Schwanz passiert?«
»Sie ist eine Manx.«
»Sie sieht aus wie ein echtes Original«, sagte ich. Tierfreunde lieben es doch, wenn man solches Zeug sagt. Trasatti schien sich nicht dafür zu erwärmen. Er winkte mich ins Arbeitszimmer, wo er sich an den Schreibtisch setzte und einen unordentlichen Stapel gebundener Bücher beiseite schob.
»Keine Sekretärin?« fragte ich.
»Das Geschäft ist nicht groß genug für eine Bürokraft. Für alles, was anfällt, benutze ich den Mac oben. Schaffen Sie sich doch Platz«, sagte er und wies auf den einzigen Stuhl im Raum.
»Danke.« Ich
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