Goldgrube
Donovan hat angerufen, um Ihnen mitzuteilen, daß ich heute nachmittag vorbeikommen würde. Ist Bennet zu Hause?«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber sie schien zu wissen, wovon ich sprach. Sie war unattraktiv und ihre Nase vielleicht eine halbe Nummer zu groß für ihr Gesicht. Auf ihren Lippen hafteten die Überreste von dunklem Lippenstift, der vermutlich beim Mittagessen abgegangen war oder nun am Rand ihrer Kaffeetasse prangte. Jetzt war ich gerade erst ein Fan von Billig-Kosmetika geworden und führte mich schon auf wie eine Expertin. Zum Totlachen, dachte ich.
»Er ist gerade gekommen. Er hat gesagt, ich soll Sie in der Bibliothek unterbringen, wenn Sie eintreffen, bevor er wieder unten ist. Würden Sie bitte mitkommen?«
»Klar«, sagte ich. Ich fand die Vorstellung herrlich, in der Bibliothek »untergebracht« zu werden wie eine Topfpflanze.
Ich folgte ihr durch die Eingangshalle zu einem Raum auf der rechten Seite. Heimlich musterte ich meine Umgebung und bemühte mich, dabei nicht wie ein gaffender Idiot auszusehen. In den Häusern der Reichen ziemt es sich nicht, mit offenem Mund zu starren. Der Fußboden bestand aus dunklem Parkett, das in einem komplizierten Fischgrätmuster verlegt worden war und dessen polierte Holzwinkel sich nahtlos ineinanderfügten. Die Eingangshalle war zwei Stockwerke hoch, doch von oben kam kaum oder eher gar kein Licht herein. An den Wänden hingen in regelmäßigen Abständen Wandteppiche und verblichene Darstellungen von Frauen mit hochgeschnürten Taillen und Gesichtern von der Form hartgekochter Eier. Herren in Umhängen ritten auf Pferden, gefolgt von Jagdhunden an Ketten. Hinter ihnen schleppte ein fröhliches Häuflein Holzfäller einen toten Hirsch, dem die Speere aus dem Leib staken wie dem heiligen Sebastian. Ich wußte sofort, daß in ihrer Welt keine Tierschützer vorkämen.
Die Bibliothek sah aus wie ein privater Herrenclub oder vielmehr so, wie ich mir einen solchen Ort vorstellen würde, wenn dort auch Frauen zugelassen wären. Mehrere große, rote orientalische Teppiche waren direkt nebeneinander ausgelegt und bedeckten den Boden vollständig. Eine Wand war komplett mit dunklem Walnußholz vertäfelt, während an den anderen drei Wänden bis zur Decke reichende Bücherregale standen. Die Fenster waren hoch und schmal, Karos aus Bleiglas, die mehr kalte Luft hereinließen als Nachmittagslicht. Es gab drei Gruppen abgenutzter rotlederner Clubsessel und einen riesenhaften Kamin aus grauem Stein mit einem Gaszünder, dessen Feuerstelle von zahllosen Feuern geschwärzt war. Der Raum roch nach verkohltem Eichenholz und modrigen Büchern und strahlte jene Feuchtigkeit aus, die mit schlecht gearbeiteten Fundamenten einhergeht. Für eine Familie, die in der Baubranche ein Vermögen gescheffelt hatte, müßten sie wirklich mal daran denken, ein bißchen Geld in das Haus zu stecken. Im Sinne umfassender Verschönerungen der Inneneinrichtung hätte ein kurzer Abstecher zu Pier I Wunder gewirkt.
Obwohl ich mir selbst überlassen war, machte ich mir ausnahmsweise nicht die Mühe herumzuschnüffeln. Guy Malek war seit siebzehn Jahren weg. Ich würde keine Abschrift vom Fahrplan des Busses finden, mit dem er davongefahren war, oder eine Schublade voller Tagebücher, die er als Junge geführt hatte. Ich hörte jemanden im ersten Stock gehen, hörte die Decke knarren, als sich die Schritte im Zimmer über mir von einer Seite zur anderen bewegten. Ich drehte eine Runde in der Bibliothek und blickte dabei aus jedem Fenster, an dem ich vorbeikam. Der Raum war gut zehn Meter lang. Am anderen Ende ging ein Wintergarten auf den Rasen hinter dem Haus hinaus, eine weite Fläche abgestorbenen Grases mit einem trüb aussehenden Zierkarpfenteich in der Mitte. Die Oberfläche des Wassers war von Seerosenblättern überwuchert.
Ich ging wieder zur Tür zurück und hörte, wie jemand die Treppe herunterkam und den Flur entlangschritt. Die Tür ging auf, und Bennet Malek kam herein. Er war vier Jahre jünger als Donovan und hatte das gleiche helle Haar. Wo Donovans Haar glänzte, war das Bennets matt, und er trug es kurz geschnitten, um einen offensichtlichen Hang zur Lockenbildung zu unterbinden. Das Ringen darum, stets frisch rasiert zu sein, hatte er offenbar aufgegeben, und so umgaben jetzt ein blonder Bart und Schnurrbart die untere Partie seines Gesichts. Er war untersetzt, wirkte um die Schultern herum bullig und hatte einen breiten Brustkorb. Er trug Jeans und ein
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