Goldhand (Ein Artesian Roman) (German Edition)
verschwinden. Er folgte den Gängen, die Tira ihm gezeigt hatte, und strebte bald nach oben. Schließlich sah er den Himmel über sich und erreichte die erste Terrasse, in dessen Mitte der Hochsee lag. Er schlenderte ans Seeufer und blickte über das stille Wasser. Er stand nicht lange allein. Schritte näherten sich und eine vertraute Stimme fragte: „Heute so nachdenklich, mein Freund?“
Hockster lächelte. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer da gekommen war. Karva, die Hüterin der Feste und Führerin der Hajadas. Er sah sie an, ihre grüne Haut schimmerte hell in der Morgensonne.
„Der Winter ist da“, erwiderte Hockster. „Das Jahr ist bald zu Ende.“
„Das ist offensichtlich.“ Karva wartete.
„Nachdenklich?“, wiederholte Hockster. „Ja, vielleicht bin ich das. Ich denke über mein Leben nach. Darüber, wer ich war, und auch, wer ich geworden bin.“
„Mir scheint, deine Selbstschau gereicht dir nicht zur Freude?“
Die Hajada war eine stille Person, die vieles sah und nur wenigen ihre Aufmerksamkeit schenkte. Hockster wusste nicht, weshalb sie gerade ihm diese besondere Position einräumte. Anfangs glaubt er, dass sein Status als Auserwählter dafür verantwortlich war, aber die Gespräche, die er mit ihr geführt hatte, hatten ihn davon überzeugt, dass sie ihn schätzte und nicht der, wofür ihn fast jeder hielt.
Hockster schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht unglücklich. Ich habe mehr erlebt und erfahren als manch anderer in einem langen Leben.“
„Ist der Tod dir so nahe?“, fragte Karva.
„Wie soll ich diese Frage beantworten? Ich weiß es nicht. Ich fühle mich einsam. Doch die Einsamkeit kümmert mich nicht weiter. Sie vergeht wieder, ja, an manchen Tagen ist sie kaum zu spüren. Ich sorge mich um die Geschenke, die man mir gemacht hat.“
„Wirst du mir davon erzählen?“
„Ja, ich glaube, das möchte ich gern.“
Karva ließ sich am Ufer des Hochsees nieder und steckte ihre nackten Füße ins eisige Wasser. Hockster fröstelte es bei diesem Anblick.
Er setzte sich neben Karva, lehnte sich zurück und sah in den Himmel hinauf. Mit leiser Stimme berichtete er ihr, was ihm widerfahren war, seit er Tarnagg verlassen hatte. Es wurde ein langer Bericht. Hockster ließ nichts aus, versuchte, sich an jede Begebenheit zu erinnern. Stunden vergingen, bevor er schließlich zum Ende kam.
Karva sagte lange Zeit nichts. Schließlich sprach sie. „Als meine Vorfahren hierherkamen, gab es nichts außer den Bergen. Viele Jahre bester Steinmetzarbeit vergingen, bevor Trenadil stand, wie du es heute siehst. Danach gruben wir die Tunnel und Kavernen und sie gelangen uns noch besser. Wir gruben uns durch den ganzen Berg hindurch und wir lernten immer noch weiter. Es schien uns, als wäre jeder Tag verknüpft mit neuen Erkenntnissen. Als meine Vorfahren ihre Arbeit beendet hatten und endlich in die von ihnen geschaffenen Höhlen zogen, befiel sie eine große Leere. Ihre Aufgabe war beendet, doch eine weit größere erwartete sie, die jedoch nichts mit der Arbeit der Steinhauerei zu vergleichen war. Sie waren nicht sicher, ob sie auch dieses Ziel erreichen konnten. Schließlich stellten sie sich der Herausforderung. Sie legten hier oben Felder an und pflanzten Obstbäume. Sie waren unwissend, aber sie lernten mit jeder Jahreszeit dazu bis schließlich all das hier entstanden war.“ Karva machte eine weite Armbewegung, die den ganzen Berg bis hinauf zum höchsten Gipfel mit einschloss. „Meine Vorfahren gaben nicht auf, bis sie es auch hier zur Meisterschaft gebracht hatten. Doch noch immer war ihre Arbeit nicht gänzlich getan. Sie hatten geschworen, die Feste gegen jeden zu verteidigen, der nicht rechtmäßig einen Anspruch auf Trenadil erheben konnte.“ Karva seufzte. „Sie wurden wieder zu Kriegern, übten täglich mit den Waffen, die sie von zu Hause mitgebracht hatten. Etwa um diese Zeit entschied König Vidal, in seinem neuen Palast zu Idenhal zu leben. Er und alle Bewohner der Feste verließen Trenadil. Wir blieben allein zurück und widmeten uns ganz unserer Aufgabe als Hüter der Feste.“ Karva sah Hockster an und lächelte schmerzlich. „Natürlich erlangten wir auch in der Kriegskunst Meisterschaft. Doch diese Kunstfertigkeit war bitter. Wir hatten vergessen, wie man mit eigenen Händen etwas erschafft. Ja, wir vermochten noch immer neue Stollen in den Berg zu treiben, doch uns fehlte die Harmonie, die den wahren Steinmetz mit seiner Arbeit verbindet.
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