Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
die Zeit schon reichen.«
Ein lautes Piepen aus Katis Handy kündigte an, dass sie eine SMS bekommen hatte. Sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Ach, du Scheiße, ich habe völlig verpennt, dass mein Patenkind heute Geburtstag feiert. Er fragt schon, wo ich bleibe.« Sie sprang auf und gab Anja und Kroll einen Kuss auf die Wange. »Ich muss los. Du zahlst meine Caipis, Kroll! Tschüs!« Dann war sie verschwunden.
Kroll grinste. Mit einem so schnellen Abgang hatte er nicht gerechnet. Erstaunlicherweise schien sich Anja zu entspannen. Katis Abwesenheit schien ihr entgegenzukommen. Sie hatte wohl weitere Überrumpelungen befürchtet und war nun froh, das Heft selbst in die Hand nehmen zu können. Sie nahm ihren Caipirinha und lächelte fröhlich. »Ich hoffe, du rennst jetzt nicht genauso schnell weg. Ich hab mich nicht darauf eingestellt, um neun schon wieder in meiner Wohnung mit den ganzen Umzugskartons zu sitzen.«
»Wo wohnst du jetzt eigentlich?«
»Funkenburgstraße.«
Kroll stellte zufrieden fest, dass Anja nur einen Steinwurf von ihm entfernt wohnte. Er erklärte ihr, wo sich seine Wohnung befand, und bestand darauf, sie auf jeden Fall später noch nach Hause zu bringen. Sie plauderten locker über alles Mögliche. Kroll konnte in Erfahrung bringen, dass sich Anja von ihrem Freund getrennt hatte, mit dem sie drei Jahre zusammengewohnt hatte. Anja schien sich immer mehr zu öffnen und war auch an Krolls bisherigem Leben interessiert. Es war unvermeidlich, dass sie irgendwann auch noch auf den aktuellen Fall kommen würden.
»Stört es dich sehr, wenn wir noch kurz über die Ereignisse im Kasten sprechen? Ich weiß, du hast Feierabend, aber das interessiert mich natürlich.«
»Kein Problem«, beruhigte sie Kroll. »Ich fürchte nur, wir haben nicht allzu viele Neuigkeiten.« Er nippte an seinem Bier. »Wir wissen jetzt definitiv, dass derjenige, es ist übrigens ein Mann, der das Wasser verseucht hat, derselbe ist, der Bachs Hand aus der Thomaskirche geklaut hat. Aber so richtig hilft uns das auch nicht weiter.«
Anja lächelte freudlos. »Das ist schon eine komische Sache. Ich würde euch ja gern helfen, aber … « Sie zuckte mit den Achseln.
Kroll malte mit seiner Bierflasche Kreise auf den Tisch. »Wir haben da so einen Verdacht, dass es tatsächlich zwei junge Männer gibt, die mehr wissen als wir oder das zumindest glauben.«
Anja sah ihn fragend an.
»Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Paul und Georg genau zu der Zeit ins Alumnat gekommen sind, als der Füller von Callidus quasi aus heiterem Himmel wieder aufgetaucht ist.«
»Du meinst, die Jungs haben den auf meinen Schreibtisch gelegt … , aber das würde ja bedeuten … «, Anja nippte an ihrem Strohhalm, »… dass die den Füller auch eingesteckt haben. Dann wären sie auch ins Büro des Chefs eingebrochen. Warum sollten sie denn so etwas tun?«
Kroll zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ich hatte gehofft, dass du vielleicht eine Idee hast.«
Kroll war überrascht, dass Anja seinen Verdacht nicht sofort entschieden zurückwies, sondern überlegte. »In Callidus’ Büro sind eigentlich nur langweilige Schreiben und Formulare. Warum sollten sich zwei pubertierende Jungs gerade dafür interessieren?«
»Was sind denn das für langweilige Schreiben?«, hakte Kroll nach.
»Alles Mögliche. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Verwaltungskram so ein Chor auslöst. Die Tourneen, die Konzerte, die Mitarbeiter, die Personalien der Kinder, die Bestellungen. Über den Schreibtisch des Chefs läuft einfach alles, vom Frühstücksbrötchen bis zur Nachttischlampe.«
»Verstehe«, murmelte Kroll frustriert.
»Eine Sache ist mir aber schon aufgefallen. Ich hätte nie gedacht, dass das wichtig sein könnte. Mein Chef ist doch so ein Ordnungsfanatiker.« Sie lächelte, als müsste sie sich für die Eigenarten von Dr. Callidus entschuldigen. »Er hatte den Eindruck, als hätte jemand die Personalakten im Hängeschrank durchsucht.«
»Und wie kommt dein Chef darauf?«
»Er ist sich da auch nicht so ganz sicher. Es sind ja auch nur Kleinigkeiten. Die Akten hängen nicht so sorgfältig in der Registratur wie gewöhnlich. Sie wurden mehr oder weniger einfach nur reingestopft. Teilweise haben sich die Aktendeckel dabei verbogen. Zwei Akten hängen nicht in der alphabetischen Reihenfolge. So etwas wäre bei Callidus undenkbar.«
Kroll sah, dass Anja ein Gähnen unterdrückte.
»Soll ich dich nach Hause bringen?«
Sie lächelte.
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