Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
Sicherheitsabstand leicht folgen. Auch auf der Waldstraße bereitete die Verfolgung keine Probleme. Der schon beginnende Berufsverkehr sorgte für lange Staus an den Ampeln. Paul ließ immer mindestens ein Auto zwischen sich und sein Fahndungsobjekt. Die Kälte machte ihm nichts mehr aus. Muskeln waren die Heizung des Körpers. Er überlegte kurz, ob er Georg anrufen sollte. Aber eine Verfolgungsjagd mit dem Handy in der einen und dem Lenker in der anderen Hand machte wenig Sinn.
Am Waldplatz waren keine Staus mehr. Der Fahrer der dunklen Limousine drückte kurz auf das Gaspedal. Der Wagen passierte die Kreuzung während der Gelbphase. Paul blieb dran, konnte die Geschwindigkeit jedoch nicht mehr halten. Er legte seine ganze Kraft in die Pedale, aber der Abstand wurde immer größer. Paul strampelte und strampelte. Als er die Linkskurve vor dem ehemaligen Reichsgericht passiert hatte, konnte er noch sehen, wie der Mercedes an der Ampel Richtung Innenstadt links abbog. Er hatte keine Chance mehr, ihm zu folgen. Seine Ampel war rot. Er atmete tief durch. Erst jetzt fiel ihm auf, wie viel Kraft ihn die Verfolgung gekostet hatte. Trotz der kühlen Temperaturen war sein T-Shirt, das er unter dem Pullover trug, klatschnass.
Er fuhr langsam auf den Innenstadtring und sah sich um. Natürlich war der Wagen verschwunden. Paul war sicher, dass er schon über alle Berge war oder in einem der Parkhäuser steckte. Aber dort zu suchen, wäre sinnlos gewesen. Die berühmte Stecknadel im Heuhaufen.
Vor der Thomaskirche bog er rechts ab. Er lehnte sein Fahrrad gegen das Bachdenkmal und setzte sich auf den Sockel. Dann kramte er sein Handy aus der Hosentasche und wählte die abgespeicherte Nummer von Georg. »Ich habe ihn verloren. Er ist am Reichsgericht in die Innenstadt. Ich war so dicht dran, aber die Kiste hat bestimmt 350 PS mehr als ich. Wie war’s bei dir?«
»Unspektakulär. Der Fleischer ist nach Hause gejoggt. Keine besonderen Vorkommnisse.«
»Wo bist du jetzt?«
»Noch in der Tschaikowskistraße. Und du?«
»Ich sitze hier am Bachdenkmal. Muss noch ein bisschen Luft schnappen.«
»Warte. Ich bin in fünf Minuten bei dir.«
Paul sah sich während des Gespräches auf dem Thomaskirchhof um. Plötzlich stockte ihm der Atem. »Ach, du Scheiße!«
Georg war besorgt. »Was ist, Paul?«
»Ich muss Schluss machen … Beeil dich!«
Der schwarze Mann kam aus der Thomaskirche und sah sich um. Er trug immer noch die dunkle Sonnenbrille, was Paul irritierte, weil er nicht wusste, wohin genau der Mann blickte. Als sich sein Kopf in Pauls Richtung drehte, sprang er vom Sockel und versteckte sich hinter dem Denkmal. Hoffentlich noch rechtzeitig, flehte er. Paul schloss die Augen und zählte bis drei. Dann lugte er vorsichtig hinter dem Denkmal hervor. Der Mann kam mit langsamem Schritt direkt auf ihn zu. Paul fühlte, wie sein Herz klopfte und das Blut in seinen Halsschlagadern pulsierte. Hoffentlich hat er mich nicht gesehen, dachte er. Er machte sich so klein, wie er konnte, und bewegte sich langsam in Richtung der Rückseite des Denkmals. Jetzt vermochte er die Schritte des Mannes deutlich zu hören. Er trug diese teuren Lackschuhe mit den Absätzen, die immer klackerten. Paul hielt die Luft an. Als die Schritte am lautesten waren, wurde es auf einmal still. Der Mann stand unmittelbar vor dem Denkmal. Die Zeit schien stillzustehen. Nichts tat sich. Paul wartete nur darauf, dass ihm eine kräftige Hand in den Nacken greifen würde. Wann kam endlich Georg? Die fünf Minuten mussten doch schon längst um sein. Paul wurde mit jeder Sekunde ängstlicher. Er konnte seinen Atem, der jetzt immer schneller wurde, deutlich hören. Der Mann etwa auch? Vielleicht sollte er einfach wegrennen. Der alte Sack konnte ihm doch wohl nicht folgen. Und wenn doch?
Dann kam die Erlösung. Die Schritte entfernten sich wieder. Paul blieb in seinem Versteck, bis er nichts mehr vernahm, und noch ein bisschen länger.
Er hörte, wie jemand seinen Namen rief. Gott sei Dank! Wenn Georg so ungeniert rumbrüllte, war die Luft rein. Langsam stand er auf und winkte seinem Freund zu.
»Du siehst ja aus wie ausgeschissen! Solltest mehr trainieren, wenn dir die paar Meter schon so zu schaffen machen.«
Paul stand der Sinn nicht nach Humor. Er ignorierte Georgs ironische Bemerkung. »Der ZZ TOP war hier. Er hätte mich fast erwischt!«
»Was? Wo war der genau?«
»Der kam aus der Thomaskirche, während wir telefoniert haben. Ich habe mich sofort versteckt
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