Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
Fundament wäre aus Stein? Wie oft muss man sein Kind anlügen, bis die Lüge zur Wahrheit wird und die Wahrheit zur Lüge?«
Heidi Fleischer schien einen Moment nachzudenken. Aber sie beruhigte sich nicht. »Ja, klar! Das war zu erwarten! Du hast ja immer alles richtig gemacht. Der beste Student, die besten Examen, die besten Jobs. Natürlich hättest du an meiner Stelle das alles ganz toll hingekriegt. Mein lieber Junge, der Mann, den du für deinen Papa hältst, ist leider nicht dein Vater. Dafür habe ich hier einen Schauspieler, mit dem ich besoffen in die Kiste gegangen bin, der mich aber nicht weiter interessiert. Tut mir leid! Kann doch mal passieren, oder?«
Franz Fleischer blieb ruhig. »Zumindest wäre das die Wahrheit gewesen.«
»Die Wahrheit!«, wiederholte Heidi Fleischer ungläubig. »Die Wahrheit. Ich hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera! Und wann soll man einem Kind diese Wahrheit erzählen? Mit einem Jahr? Wenn es zwei, drei, zehn oder vierzehn Jahre alt ist? Was meinst du?«
»Ich weiß es nicht. Aber du hast viel zu lange gewartet. Ludwig ist schon eine ganze Zeit kein Kind mehr.«
»Das ist es ja gerade. Ich habe den richtigen Zeitpunkt verpasst. Aber jeder Tag hat es schwerer gemacht.« Sie atmete tief durch. »Jeder Tag hat es schwerer gemacht … , jeder Tag!«
Heidi Fleischer stand immer noch im Licht der Taschenlampe. Sie ließ den Kopf hängen. Dann sah sie sich ruckartig um. »Kannst du mir vielleicht mal erklären, was das Ganze hier soll?«
»Weißt du, was ein Konklave ist?«
Sie lachte bitter. »Du willst hier jetzt aber keinen Papst wählen, oder?«
»Nein, bestimmt nicht. Aber wir gehen hier erst raus, wenn du mir versprochen hast, Ludwig endlich reinen Wein einzuschenken.«
»Das ist Freiheitsberaubung!«
»Du hast mich nicht verstanden. Ich habe gesagt, wir gehen hier nicht raus. Ich bin also auch ein Gefangener, genauso wie du.«
Das Licht der Taschenlampe ging aus. Franz Fleischer ging auf seine ehemalige Frau zu. Etwa zwei Meter vor ihr blieb er stehen und blickte auf die Fackel, die sie noch in der Hand hielt.
»Du hast es ja noch nie begriffen, dass es hier nur um unseren Jungen geht.«
»Unseren Jungen?«, wiederholte Heidi Fleischer ungläubig.
»Hörst du lieber dein Junge?«
Heidi Fleischer hielt einen Moment inne. Sie steckte die Fackel wieder in den Ständer und setzte sich auf die kleine Treppe zwischen den Schicksalsmasken.
»Bitte entschuldige. Ich bin in letzter Zeit ein wenig durch den Wind.«
Franz Fleischer spürte, dass sich auch sein Puls langsam wieder beruhigte. »Ich fürchte, daran bin auch ich nicht ganz unschuldig. Tut mir leid«, seufzte er verlegen.
»Ich nehme an, Ludwig geht es gut?«, fragte sie in einem Ton, der die Antwort schon vorgab.
»Ein sehr vertrauensvoller Mitarbeiter von mir kümmert sich schon den halben Tag um ihn und hält mich auf dem Laufenden. Ludwig ist gerade in unserem Werk und fährt einen Porsche auf dem Testgelände. Das hat er sich immer schon gewünscht.«
Heidi Fleischer nickte. »Da findet den natürlich niemand.«
»Glaubst du etwa, ich hänge an die große Glocke, dass der minderjährige Sohn des Chefs mit einem 500.000 Euro teuren Auto rumdüst? Das macht man doch diskret.«
Heidi Fleischer wurde nachdenklich. »Ludwig ist schon so groß geworden. Er ist eigentlich gar kein Kind mehr. Weißt du, dass er mich schon überragt?«
Franz Fleischer setzte sich neben sie auf die Treppenstufe. »Das ist mir nicht entgangen.« Er drückte den Zeigefinger vor seine Brust. »Du bist mir immer bis hierhin gegangen und Ludwig kommt da schon weiter.«
Heidi Fleischer verzog den Mund zu einem Lächeln. »Ludwig braucht dich, Franz. Ich weiß, wie sehr er an dir hängt. Du bist sein Ein und Alles. Er liebt dich, wie … wie einen richtigen Vater. Er könnte es nicht ertragen, wenn du nicht mehr für ihn da wärst. Ich weiß das, ich bin doch seine Mutter.«
In ihren Augen sammelten sich Tränen. »Das hat doch die ganze Sache so schwer gemacht. Auch für mich! Er ist so furchtbar stolz auf dich. Er erzählt jeden Tag von dir.«
Sie ließ sich leicht zur linken Seite fallen und versuchte, sich bei ihm anzulehnen. Franz Fleischer rückte ein Stück weg. Er war bemüht, die kleine Distanz beizubehalten.
Heidi Fleischer konnte ihre Tränen jetzt nicht mehr zurückhalten. »Ich bin an allem schuld! Das weiß ich doch genau. Von dem Tag an, wo ich die blöde Affäre mit dem Schauspieler hatte, habe ich alles
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