Goldmacher (German Edition)
Aufzeichnungen des August Lowicki aufklären solle, er wäre diese ganze abscheuliche Sache dann mit einem Schlag endlich los. Er räusperte sich, brachte jedoch kein Wort heraus, die Befürchtung, Anton könnte ihm nicht mehr vertrauen, ihm seinen herausragenden Platz als graue Eminenz des Blattes streitig machen, lähmte ihn.
»Das ist ein gezielter Schuss«, unterbrach Anton Hans-Ulrich und wies auf das Foto.
»Sieht so aus«, stimmte er ihm zu, froh, seiner Panikattacke entkommen zu sein, »aber aus welcher Richtung?«
»Ich glaube, das herauszufinden ist endlich mal wieder eine echte Herausforderung für unsere Spürnase Hacker«, meinte Anton. Er faltete die Zeitung zusammen und gab sie ihm zurück.
Hans-Ulrich vermutete sogleich die Studenten hinter diesem gezielten Schuss.
»Diese Studenten haben mehr Sympathisanten, als man glaubt. Aber man benutzt sie auch für eigene Zwecke. Vielleicht will dich jemand politisch ins Zwielicht stellen«, unkte er noch, bevor er Antons Zimmer verließ.
Hans-Ulrich hatte die demonstrierenden Studenten lange nicht ernst genommen und Antons Auftritt mit den »Politclowns« im Audimax als »Karneval in Rot« beschrieben und die Akteure als zündelnde Strohdrescher: »Sie legen Strohfeuer, man muss nur puff machen«, er schlug die Hände kurz zusammen, »und schon sind sie ausgepustet!«
Jetzt, auf dem Weg zurück in sein Büro, erkannte er, wie er sich geirrt hatte, zumindest was die Strohfeuer betraf. Sie entwickelten sich mittlerweile zu größeren Flächenbränden, von den Studenten war ein »Marsch durch die Institutionen« ausgerufen worden. Widerwillig hatte Hans-Ulrich erkennen müssen, dass sich unter den vielen Strohdreschern kluge Köpfe befanden. Trotzdem, ihm gefielen sie nicht, diese Klugscheißer. Sie sorgten für Unordnung, und er, Hans-Ulrich Hacker, wollte Ordnung. Nach dem Zusammenbruch des diktatorischen, allumfassenden Ordnungssystems, in dem er selber eins dieser kleinen Rädchen gewesen war, hatte er über viele Jahre ein modernes, an neutralen Sachzwängen orientiertes Unternehmen aufgebaut, ein Bollwerk gegen Chaos und Willkür. Es regelte alles, selbst ganz alltägliche Dinge. Auch wenn sich Anton über die festgelegte Sitzplatzordnung während der großen Konferenz lustig gemacht hatte oder über die Zimmer- und Fenstergröße je nach Dienstgrad der Mitarbeiter, was ihm den Spott einbrachte, er sei ein alter Kommissstiefel, so stimmte er doch unausgesprochen mit ihm überein, dass zumindest einer im Blatt, und dieser eine war ja von Anfang an er gewesen, in Vermeidung eines Saustalls für Ordnung sorgen müsse.
Zurück in seinem Büro, umrundete Hans-Ulrich unschlüssig seinen Schreibtisch: Diese Studenten wollten nicht nur Unordnung stiften, sie wollten die gewohnten Ordnungen abschaffen, sie schwächen, ins Zwielicht bringen, und offenbar sogar Ordnungen, die ihm, Hans-Ulrich Hacker, besonders lieb und teuer waren, wie etwa die ordnende Instanz Anton Bluhm.
Er beugte sich zur neu installierten Gegensprechanlage und bat den Leiter der Dokumentation, Fotos wie etwa das Foto von Anton Bluhm vor dem Transparent in der Lokalzeitung, die ihm anonym zugeschickt worden war, oder den Fernsehbeitrag mit dem Pfeifkonzert der Studenten im Audimax gesondert abzulegen und ihm umgehend ähnliche, das Blatt und ihre Galionsfigur schädigende Veröffentlichungen zu melden. Doch dann war es Anton selber, der kurz darauf einen für Hans-Ulrich unvorstellbaren Image-Schaden provozierte.
»Du hast was blockiert?«, fragte er entgeistert, als Anton ihm beim Mittagessen in der Kantine von demonstrierenden Studenten berichtete, die nicht nur die Auslieferung eines Boulevardblatts blockiert, sondern auch die Enteignung des Verlegers dieses Boulevardblatts gefordert hatten.
»Nein, nein«, wehrte Anton ab, er selber habe nichts blockiert, er habe sich zufällig in der Nähe des Verlagsgebäudes aufgehalten und gesehen, wie Polizisten Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen die Blockierer einsetzten. Gegen das Zusammenknüppeln hätte er protestiert, und dabei wäre er in den Pulk der Blockierer geraten. Als Autos brannten und Panik ausbrach, konnte er sich aus dem Pulk befreien.
»Unvorstellbar!«, presste Hans-Ulrich so leise wie möglich durch die Zähne, und das Unvorstellbare lief als Bildfolge vor seinem inneren Auge ab, als Fotostrecke: wie einer von den vielen Pressebengels, so nannte er die Boulevardjournalisten insgeheim, Anton erkannte und fotografierte und
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