Goldmacher (German Edition)
diese Fotos von Anton Bluhm als Blockierer im Pulk der demonstrierenden Studenten, die nicht nur die Auslieferung der Zeitung blockierten, sondern auch noch die Enteignung des Verlegers dieser Zeitung forderten, am nächsten Tag nicht nur auf dieser einen, sondern auf den Titelseiten von Boulevardblättern und seriösen Zeitungen erschienen.
»Unvorstellbar!«, stöhnte Hans-Ulrich gequält auf.
»Nichts ist unvorstellbar«, sagte Anton, »wer weiß, vielleicht sind wir die Nächsten, die enteignet werden sollen.« Er lächelte und Hans-Ulrich starrte ihn nun noch fassungsloser an.
Tagelang sann er daraufhin über Antons Worte nach und wie ernst er sie wohl gemeint hatte, als er zufällig im Vorübergehen die Bemerkung von zwei erst unlängst eingestellten jungen Redakteuren aus dem Kulturteil aufschnappte. Anton Bluhm sei ein Spieler, hörte er den einen sagen. Im Schiller’schen Sinn?, fragte der andere. Hans-Ulrich mischte sich in das Gespräch ein, er wollte wissen, was einen Spieler im Schiller’schen Sinn auszeichne. Die beiden jungen Redakteure reagierten zunächst verlegen auf seine Frage, erklärten dann jedoch, Anton Bluhm verkörpere jenen Schiller’schen Homo ludens, der durch das Spiel dem Ernst der Triebe seine zwingende, freiheitsberaubende Gewalt nehme.
»Und mit welchem Spiel begegnet Anton Bluhm diesem Ernst der Triebe?«, wollte er wissen.
»Na ja, zum Beispiel mit dem Spiel des sich gegenseitigen Überbietens, das er unter uns als Konkurrenten entfacht«, antwortete einer der beiden. »Damit entgehen wir der zwingenden freiheitsberaubenden Gewalt unseres Aggressionstriebs, wir bringen uns nicht gegenseitig um und schaffen sogar einen Mehrwert.«
»Einen Mehrwert?«, wiederholte Hans-Ulrich, im höchsten Maße alarmiert. Vom Mehrwert hatte er bereits viel gehört. Die Studenten forderten, alle sollten am Mehrwert beteiligt werden.
Er blickte nun von einem zum anderen und unversehens verwandelten sich diese beiden unlängst eingestellten jungen Redakteure aus dem Kulturteil in Gesinnungsgenossen jener, die nach Enteignung riefen.
Er musste die Augen nicht nur für die Gefahren draußen, er musste sie auch für die Gefährdungen im eigenen Haus offen halten, wusste Hans-Ulrich plötzlich. Und schon wunderte er sich, wie diese beiden jungen Männer, die sich jetzt verabschiedeten, gekleidet waren: Sie trugen Jeans statt Cordhosen, Kammgarn oder Flanell. Ihr Haar trugen sie lang, es reichte bis über ihre Hemdkragen.
Doch das waren nur Äußerlichkeiten, in den folgenden Tagen erhöhter Wachsamkeit fiel ihm auch ein neuer Umgangston auf, vor allem bei den Jüngeren war er respektloser, ja, es schwang Überheblichkeit mit, wenn sie diskutierten, fast so, als hätten sie mit ihren längeren Haaren auch mehr Verstand gewonnen. Wieso war ihm all das Auffällige nicht schon vorher aufgefallen?, rätselte Hans-Ulrich.
Schleunigst holte er nun das Versäumte nach, er beobachtete selber und ließ beobachten, machte Notizen und ließ notieren, er verschaffte sich auf diese Weise innerhalb nur weniger Wochen ein Bild über die ganz offensichtlichen Veränderungen, aber auch über die geheimeren Aktivitäten im Haus. Er stellte ein Dossier zusammen. Er könne ihm erste Hinweise über die Heckenschützen geben, ließ er Anton in Anspielung auf den gezielten Fotoschuss wissen. Kurz darauf konnte er das Dossier auf der Schreibtischlandschaft ausbreiten. Er war überrascht, aber auch erfreut über Antons Neugier.
Er vermute eine ernst zu nehmende Verschwörung von Mitarbeitern, begann Hans-Ulrich seine Präsentation. Ein Komplott der erst unlängst zur Verjüngung der Redaktion eingestellten Redakteure. Diese brächten, wenn auch noch nicht offen, die Forderung in Umlauf, alle Mitarbeiter sollten das Recht haben, sowohl bei der Führung der Geschäfte als auch bei der Leitung der Redaktion, ja, auch im Bereich der Dokumentation mitzubestimmen. Vor allem aber sollten sie am Mehrwert beteiligt werden.
»Mitbestimmung! Mehrwert!«, wiederholte Hans-Ulrich mit großer Geste und tigerte erregt, aber auch stolz über Spürnase Hacker um die Schreibtischlandschaft herum, auf der er Beweise und Fotos von den Verschwörern ausgebreitet hatte.
»Diese Keimzelle muss umgehend aufgelöst werden«, sagte er und schlug sowohl Entlassungen als auch Versetzungen vor.
Anton hatte sich über die Hacker’sche Beweissammlung gebeugt, las darin und betrachtete das eine oder andere Foto der vermeintlichen Verschwörer.
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