Goldmacher (German Edition)
noch immer in der Küche herum.
Peter bot seine Dienste an, er könne für Nachschub von Zigaretten, Currywürsten und Rotwein sorgen. Es war deutlich zu spüren, die Freunde waren neugierig auf die anderen Münzer-Schwestern, die sie noch nicht kannten.
»Wollt ihr etwa einen Weiberrat gründen?«, fragte Peter, als Paula ihn und Christoph schließlich aufforderte, die Wohnung vor dem Eintreffen der Schwestern zu verlassen.
»Wie wollt ihr die Zeit ohne uns denn überstehen? Über was wollt ihr reden, wenn wir nicht dabei sind?«, rief Christoph theatralisch aus, als Paula sie zum Aufbruch drängte.
»Ihr werdet euch ohne uns tödlich langweilen«, drohte Peter noch, bevor er und Christoph endlich Paulas Drängen nachgaben.
Kurz darauf trafen als Erste Lisa und Emily ein. Sie stürzten sich auf den Butterkuchen, nachdem sie den langen gasthausfreien Halteverbotsabschnitt durch die DDR nicht eingeplant und nun großen Hunger hatten.
»Dass es so etwas überhaupt gibt!«, ereiferte sich Lisa und erklärte, seit ihrer Reise nach Indien und durch Kalifornien käme ihr das eigene Land mit der Mauer durch die ehemalige Hauptstadt und der Grenze mit einem Todesstreifen vom Norden bis in den Süden vor, als läge es hinter dem Mond.
»Die Deutschen sind ein kleinkariertes Volk«, stellte sie fest, und auch Emily sagte etwas über diese Deutschen.
»Ihr tut so, als hättet ihr gar nichts damit zu tun«, sagte Paula. »Seid ihr denn nicht auch Deutsche?«
»Ich nicht mehr«, antwortete Emily und fuhr sich durch ihren dunklen krausen Haarbausch, er war der Haarpracht einer afroamerikanischen Bürgerrechtlerin nachempfunden.
Auch sie sei bestimmt keine Deutsche mehr, erklärte Lisa. »Ich bin Europäerin. Und Emily geht bald nach Neu-Delhi, lernt Sanskrit, damit sie die vedischen Texte des Goldenen Zeitalters im Original lesen kann und uns anschließend als indiengeläuterte, afroamerikanisch geschulte, deutschromantische Jeanne d’Arc in ein goldenes europäisches Zeitalter führen kann. Da ist ja die Franzi! Wie bist ’n du reingekommen?«, unterbrach sich Lisa überrascht.
Kurz darauf trafen Lexa, dann Liane und zuletzt Pia ein. Wenig später kreiste die erste Marihuanazigarette, und die Musik von Ravi Shankar öffnete das Tor zu gedankenlosem himmlischem Frieden. Nein, heute wollten die Töchter von Rosi und Franz erst einmal auf den Decken und Kissen in der Loggia beisammensitzen, sich voneinander erzählen, von ihren Plänen und ihren Visionen, die Welt zu verbessern, und dabei finden, was sie alle miteinander verband, den Klang ihrer Kindheit, deren Ort gefährdet schien und den sie retten wollten. Und gewiss nicht nur den Ort, der anhaltende Streit zwischen den Eltern, ihr Zerwürfnis beunruhigte, verunsicherte, ja, schmerzte insgeheim jede von ihnen.
Liane verriet als Einzige wenig von ihren Zielen, deutete jedoch unmissverständlich an, dass sie die Reformarbeit, wie sie das gesellschaftliche Engagement ihrer Schwestern nannte, für sinnlos hielt. Allein radikales Handeln könne die Verhältnisse ändern.
»Radix, die Wurzel, das Übel muss mit der Wurzel ausgerissen werden«, übersetzte sie.
»Und wie sieht das praktisch aus?«, wollte Emily wissen.
»Übeltäter müssen beseitigt werden, was sonst«, antwortete Liane, und die anderen schauten sie überrascht an.
»Was heißt denn da beseitigt?«, wollte Lexa wissen.
»Beseitigt, das heißt liqui. «
»Und was ist das, liqui? «, fragte Franzi.
»Liquidieren, was sonst«, antwortete Liane und löste damit bei allen Schwestern ungläubiges Staunen aus.
»Du redest, als wärst du mit Ulrike Meinhof bei der El Fatah im Ausbildungscamp gewesen«, meinte Pia und gab den Joint an sie weiter.
Liane lächelte ihr geheimnisvolles Lächeln, reckte und rekelte sich wohlig, nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch in die Luft, beobachtete, wie er einen Augenblick über den Köpfen schwebte und nach oben an die Decke stieg, wo bereits eine feine Dunstwolke hing. Dann reichte sie den Joint weiter und schüttelte ihr blondes Haar, das ihr über Schultern und Rücken floss.
Alle warteten jetzt auf eine Erklärung von Liane und schauten sie an. Der Kontrast zwischen ihren Worten und ihrer Erscheinung war verwirrend. Kein Zweifel, sie war die schönste unter den Schwestern. Mit ihren langen schlanken Gliedern, die jetzt von hauchdünnen, mehrfach übereinander gestuften, vielfarbig gemusterten Stoffen mehr umweht als bedeckt waren, glich sie einem elfenhaften
Weitere Kostenlose Bücher